Das Projekt Juist: Ist die ostfriesische Insel Deutschlands erste klimaneutrale Destination?

© Ibrahim Rifath | Unsplash

In unserer Reihe "Future Travel" beantworten wir spannende Fragen zum Thema Nachhaltigkeit im Tourismus und wie wir in Zukunft reisen werden. Kann Massentourismus nachhaltig sein? Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf unser Reiseverhalten? Worauf sollte man bei der Kompensation des Urlaubs achten? Welche alternativen Reisemodelle gibt es? Hast du selbst eine interessante Frage zum Thema? Dann schreib uns an [email protected].

Klimaneutral: Was bedeutet das eigentlich?

Klimaneutralität zu erreichen, ist ein ziemlich aktuelles Thema in Politik und Wirtschaft. Mit dem europäischen Klimagesetz soll Europa bis zum Jahr 2050 die Klimaneutralität, inklusive 1,5-Grad-Ziel, erreichen. Sicherlich hast du den Claim "klimaneutral" auch schon öfter gesehen: klimaneutrale Kaffeebecher, klimaneutrale Verpackungen oder klimaneutrale Kosmetik. Aber was genau heißt das eigentlich?

Einfach erklärt, soll das Kohlenstoffdioxid, das bei der Herstellung eines Produktes, bei Dienstleistungen oder bei einer Reise anfällt, an anderer Stelle kompensiert werden, sodass sich die totale Menge an klimaschädlichen Gasen in der Atmosphäre nicht erhöht. Um Emissionen zu reduzieren und auszugleichen, gibt es verschiedene Möglichkeiten wie Aufforstungsprojekte oder Investitionen in erneuerbare Energien, die ihren Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten sollen. Solche Projekte haben diverse Vor- und Nachteile und nicht jedes klimaneutrale Produkt ist gleichzusetzen mit "gut für unser Klima".

Juist, Landschaft, Nordsee, Strand
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Pferdekutschen statt Autos

Die Insel Juist in der Nordsee liegt zwischen Borkum und Norderney und ist mit 17 Kilometern die längste der ostfriesischen Inseln. Bekannt ist das autofreie Urlaubsziel für seinen endlosen Strand, das Wattenmeer und die vielen Pferdekutschen. Auf der Insel sind nämlich Pferde unterwegs, denn Juist ist eine der wenigen Inseln in Deutschland, die autofrei sind. Fast alles wird hier ohne Motorkraft transportiert und sogar die Müllabfuhr ist mit einem Pferdefuhrwerk unterwegs. Nur die Ärzte, die Feuerwehr und das Deutsche Rote Kreuz verfügen über Autos und die Post kommt mit einem Elektrofahrzeug.

Trotz der autofreien Zone verantwortet der Tourismus als größter Wirtschaftszweig den größten Anteil der Emissionen und der Klimawandel macht auch vor der ostfriesischen Insel nicht Halt. Der Strand auf Juist wird, wie andere Nordseeinseln auch, von Sturmfluten abgetragen. Damit die kleine Insel in der Nordsee erhalten bleibt, aber vor allem auch ein Vorbild für nachhaltigen Tourismus wird, hat sich Juist große Ziele gesetzt. 

Die Klimaziel der Insel Juist

Juist hat sich vorgenommen, bis 2030 die erste klimaneutrale Destination in Deutschland zu werden. Die von TourCert zertifizierte Insel positioniert sich selbst als Klimainsel und gewann damit 2015 den Deutschen Nachhaltigkeitspreis – das ist sowas wie die Oscars unter den Nachhaltigkeitsauszeichnungen. Gemeinsam mit EWE, Futouris sowie den 1700 Insulaner*innen und Stammgästen wurde ein umfassendes Konzept entwickelt. Da der Verkehr durch die autofreie Zone kaum optimierbar ist, setzt Juist bei der nachhaltigen Energiegewinnung mit Fotovoltaikanlagen an. Eine nachhaltige Energiegewinnung ist definitiv der wichtigste Schritt zu Klimaneutralität, aber das ist nicht die einzige Maßnahme:

  • Die gesamte Energie der Inselgemeinde soll bis 2030 aus Naturstrom gewonnen werden.
  • Autonome Wasserversorgung: Das Wasser soll im Wasserwerk mit möglichst wenig Chemie aufbereitet werden. Zudem werden Gäste geben, Leitungswasser in Flaschen abzufüllen, um Energie beim Transport von Wasser zu sparen.
  • Ein offizieller, wöchentlicher Veggie-Tag soll die Reduktion der CO₂-Belastung, die durch die Fleischproduktion entsteht, geringer halten.
  • Restaurants sollen Slow-Food-Konzepte umsetzen. Wichtig hierbei sind kurze Transportwege und die Förderung heimischer Produkte.
  • LED-Straßenbeleuchtung soll auf der gesamten Insel eingerichtet werden.
  • Auf der Insel gibt es die KlimaWerkstatt, die kontinuierlich umweltfreundliche Aktionen auf Juist entwickelt.
  • Auch die Jüngsten sollen sich mit Nachhaltigkeit befassen, weshalb jeden Sommer die Kinderuniversität ins Leben gerufen wird. Hier sollen die kleinen Gäste für das Thema Klima- und Naturschutz sensibilisiert werden.

Neben der ökologischen Nachhaltigkeit soll auch der soziale Aspekt nicht außer Acht gelassen werden. Andere Inseln wie Sylt haben das Problem schon seit Jahren: Wohnraum ist für Insulaner*innen kaum bezahlbar und ein Leben auf der Insel nicht mehr möglich. Ferienwohnungen und Hotelneubauten sind ein Grund, warum viele Einwohner*innen das Leben auf der Insel nicht mehr finanzieren können und so täglich vom Festland pendeln müssen. Dieser „Ausverkauf“ soll auf Juist mithilfe einer Wohnungsbaugenossenschaft gestoppt werden, um Grundstücke für Insulaner*innen zu sichern.

Juist als Vorbild für nachhaltigen Tourismus?

Das Projekt Juist ist in Deutschland zurzeit einzigartig und ob die Insel es wirklich schaffen wird, bis 2030 klimaneutral zu werden, bleibt abzuwarten. Trotzdem sind die Ziele ein wichtiger Schritt hin zu einem klimaverträglichem Tourismus. Aufgrund der Größe der Insel und der Einwohner*innenzahl hat Juist, im Vergleich zu vielen anderen Destinationen, den Vorteil, auf Autos verzichten zu können. Ganz so einfach lässt sich dieses Konzept also nicht auf andere Destinationen oder ganze Städte übertragen, denn dafür ist die Zusammenarbeit von allen Akteuren essenziell.

Aber Juist agiert klar als Vorbild. Es geht nicht darum, von heute auf morgen alles perfekt zu machen, sondern darum, dass alle Akteur*innen zusammenarbeiten. Das beinhaltet nicht nur Unternehmen vor Ort, sondern schließt auch ganz klar die Politik mit ein. Für einen nachhaltigen Tourismus müssen alle an einem Strang ziehen. Zukünftig können klimaneutrale Ziele einen Anreiz schaffen, dass Menschen ihre Art der Anreise überdenken. Meine Kollegin Charlott ist zum Beispiel mit dem Zug nach Mallorca gereist und hat auf dem Weg eine ganz andere Form des Reisens erlebt. 

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