"Fernreisen sollten etwas Besonderes bleiben" – Reiseveranstalter Roland Streicher im Interview

© Elizabeth French | Unsplash

In unserer Reihe Future Travel beantworten wir Fragen zum Thema Nachhaltigkeit im Tourismus und wie wir in Zukunft reisen werden. Kann Massentourismus nachhaltig sein? Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf unser Reiseverhalten? Worauf sollte ich bei der Kompensation meiner Reise achten? Welche alternativen Reisemodelle gibt es?

Roland Streicher ist Gründer und Inhaber des ersten nachhaltigen Reiseveranstalters in Deutschland und hat sich mit seinem Unternehmen ReNatour schon 1994 auf umwelt- und sozialverantwortlichen Tourismus spezialisiert. Er ist ein Pionier für nachhaltiges Reisen – schon lange bevor sich große Unternehmen mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandergesetzt haben. Der studierte BWLer ist Gründungsmitglied des forumandersreisen und Mitinitiator für das nachhaltige Reisesiegel TourCert und der Klimakompensations-Organisation atmosfair. Ich wollte von ihm wissen, ob Tourismus nachhaltig sein kann und was Nachhaltigkeit im Tourismus ausmacht.

1. Herr Streicher, schon 1994 haben Sie den nachhaltigen Reiseveranstalter ReNatour gegründet, hinzu kam das forumandersreisen, atmosfair und TourCert.  Nachhaltigkeit wurde zu der Zeit noch nicht so diskutiert wie im Jahr 2023. Warum sahen Sie die Dringlichkeit?

Roland Streicher: „Ich war während meines BWL-Studiums im Skitourismus tätig und bei aller Liebe zum Skisport habe ich dabei auch die Schattenseiten des Massentourismus kennengelernt. Tourismus machte mir Spaß, aber es war schnell klar, dass ich mich beruflich in dieser Branche nur weiter orientieren möchte, wenn das mit mehr Rücksicht auf die Umwelt und soziale Belange geht. Das haben wir, meine Frau Sybille und ich, dann einfach mal probiert, indem wir ReNatour als Reiseveranstalter gründeten. ‘Reisen, die nicht die Welt kosten’ war damals unser Claim und wir merkten, dass wir mit unseren Angeboten bei vielen Menschen Aufmerksamkeit erregen.“

Das Kernproblem eines ökologisch tragbaren Tourismus ist die An- und Abreise. 80 bis 90 Prozent der Emissionen einer Urlaubsreise werden dadurch verursacht.

2. Was macht denn einen nachhaltigen Reiseveranstalter aus?

„Der Begriff der Nachhaltigkeit wird inzwischen inflationär verwendet. Fast alle Produkte, die man kaufen kann, schmücken sich mit dem Begriff. Das ist einerseits gut, da es zeigt, dass das Thema in der Gesellschaft angekommen ist. Andererseits ist Nachhaltigkeit nicht definiert, sodass oft Dinge als nachhaltig bezeichnet werden, die alles andere sind als umweltfreundlich oder sozial gerecht. Ein nachhaltig arbeitender Reiseveranstalter kann sich zertifizieren lassen. Die Vorgaben für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus werden ständig überprüft. Es geht um die komplette Wertschöpfungskette. Angefangen zum Beispiel bei einer fairen Entlohnung der Mitarbeitenden im Reiseziel über die Frage, wie ich möglichst umweltfreundlich an mein Reiseziel komme, bis hin zum Büro des Reiseveranstalters. Wo kommt der Strom her, wie hoch ist die Mitarbeitenden-Zufriedenheit und so weiter.“ 

3. Und wie sieht für Sie ein ökologisch tragbarer Tourismus aus?

„Für mich selbst war das Besondere am Reisen schon immer das unterwegs sein. Damit sind wir schnell bei der Frage, wie komme ich von A nach B, und zwar nicht möglichst schnell, sondern so, dass ich sehe und erlebe, wo ich reise, wer da lebt, was das wächst. Das Kernproblem eines ökologisch tragbaren Tourismus ist die An- und Abreise. 80 bis 90 Prozent der Emissionen einer Urlaubsreise werden dadurch verursacht. Wer das Klima schützen möchte, handelt nach der Formel 'je weiter weg, desto länger bleiben'. Wochenend-Flugreisen oder einwöchige Fernreisen sind somit ausgeschlossen. Wer ökologisch reisen möchte, bleibt in der Nähe und nutzt Bus, Bahn oder bei mehreren Personen auch den PKW.“

Nachtzug, Nightjet Wien Berlin
© Sonja Koller

4. Warum sind Verbände wie das forumandersreisen so wichtig für den Tourismus?

„Das forumandersreisen wurde 1998 als Verband von engagierten Reiseveranstaltern gegründet. Es wurden viele Projekte angestoßen wie die Kompensationsmöglichkeit mit atmosfair oder eben TourCert. Bis heute gibt es keine vergleichbaren Institutionen, die nachhaltigen Tourismus glaubwürdig unterstützen und dabei von Wirtschaftsunternehmen getragen werden. Das forumandersreisen zeigt, dass ein anderes Reisen möglich ist.“ 

5. Sie haben Klimakompensation angesprochen, das ist ja teilweise ein viel diskutiertes Thema. Warum ist es ihrer Meinung nach so wichtig, dass sich jeder persönlich damit auseinandersetzt? 

„Weil es die Politik bislang nicht geschafft hat, beim Kauf von Produkten die Klimawirkung einzupreisen. Damit ist es uns Verbraucher*innen überlassen, unser Handeln zu hinterfragen und freiwillig eine Kompensationszahlung zu leisten, wenn ich zum Beispiel fliege. Das bleibt zwar immer der sogenannte second best way – besser wäre ein Verzicht auf den Flug. Aber alle, die Kompensationsmodelle unterstützen, tun mehr als jemand, der fliegt und nichts tut.“

6. Welche Maßnahmen erwarten Sie von der Politik? 

„Eine zwingende Einpreisung der CO₂-Emissionen der Verkehrsmittel, insbesondere beim emissionsstarken Flug. Der Grund dafür ist: Die freiwillige Kompensation ist ehrenwert, wird aber keine nennenswerte Klimawirkung erreichen. Außerdem erwarte ich eine sinnvolle Mindest-Entfernung für die Kurzstrecke bei Flügen und die Entwicklung einer Kennzeichnung für Urlaubsreisen bezüglich der Nachhaltigkeit, ähnlich wie wir es bei Elektrogeräten bezüglich des Energieverbrauchs kennen.“

Brauche ich wirklich einen Pool, wenn ich Urlaub am Meer mache?

7. Worauf sollte man als Endkonsument*in bei der Urlaubsplanung und im Urlaub noch achten, wenn man nachhaltiger unterwegs sein möchte?

„Wer bei einem Reiseveranstalter bucht, kann auf eine Zertifizierung achten. Leider gibt es davon viele und nicht alle sind ernst zu nehmen, sondern dienen einem Greenwashing. Mitgliedsunternehmen des forumandersreisen sind übrigens verpflichtet, sich von TourCert zertifizieren zu lassen. Ansonsten kann ich darauf achten, kleinere inhabergeführte Unterkünfte zu buchen statt großer Ketten-Hotels. Damit sorge ich dafür, dass möglichst viel von dem Geld, das ich ausgebe, bei der lokalen Bevölkerung ankommt. Nachhaltiger zu reisen, bedarf auch einer gewissen Recherche. Gibt es vor Ort vernünftige ÖPNV-Verbindungen, dann kann ich auf den Mietwagen verzichten. Was bietet die Küche? Zeigt die Speisekarte landestypische Gerichte mit Lebensmitteln aus der Region, sodass Transportwege vermieden werden? Brauche ich wirklich einen Pool, wenn ich Urlaub am Meer mache?“

bauernmarkt Kalenić pijaca
© Rebecca Hoffmann

8. Wie werden wir in Zukunft reisen oder werden wir überhaupt noch reisen können? 

„Ich erwarte keine dramatischen Veränderungen. Das Reisen wird immer ein Bedürfnis des Menschen sein. Wir sehen aktuell, dass trotz steigender Inflation viele Gäste nicht am Urlaub sparen möchten. Der Markt wird aufgrund der hohen Energiepreise manche Urlaubsformen reduzieren. Wichtig wäre aber auch ein Handeln der Politik, um das nachhaltige Reisen noch mehr zu unterstützen.“

9. Welchen Tipp haben Sie an unsere Leser*innen, um am Urlaubsziel etwas Positives zu hinterlassen? 

„Ich spreche gerne von positiven Fußspuren, die wir hinterlassen können. Kontakt mit Einheimischen fördert das gegenseitige Verständnis. Wer seinen Müll mitnimmt, fällt positiv auf. Man kann unterwegs eine Tüte bei sich haben und, zum Beispiel beim Berg-Wandern, das eine oder andere weggeworfene Teil einsammeln und entsorgen. Ein Trinkgeld im Restaurant zeigt Respekt für die erbrachte Leistung. Wer Mitbringsel sucht, sollte darauf achten, dass lokale und keine importierte Ware gekauft wird.“

10. Und zu guter Letzt: Wie sind Sie am liebsten unterwegs?

„Ich persönlich gehe sehr gerne segeln oder in die Berge. Mir ist es wichtig, draußen zu sein und die Natur zu erleben.“ 

Vielen Dank, Herr Streicher!

Roland Streicher
© Schoppelrey Kommunikation

MEHR NACHHALTIGKEIT

Kann Massentourismus nachhaltig sein?
Individualreisen sind gut, Pauschalreisen böse. Stimmt das? Wir gehen der Frage nach, ob Massentourismus nachhaltig sein kann.
Weiterlesen
Nachhaltige Siegel im Tourismus
Nachhaltige Auszeichnungen gibt es für Unterkünfte, Nationalparks, Restaurants und ganze Regionen. Aber welche Siegel sind wirklich nachhaltig & vertrauenswürdig?
Weiterlesen
Zurück zur Startseite