Da arbeiten, wo andere Urlaub machen – Beim Volunteering auf einem Bauernhof in den Schweizer Alpen

© Charlott Tornow

Standesgemäßer hätte ich mir den Einstand auf der Alm nicht vorstellen können. Knapp zweieinhalb Stunden und drei verschiedene Verkehrsmittel benötigt es, um von Bern nach Mürren anzureisen. Zweieinhalb Stunden, in denen ich langsam und wie in Trance in diese fantastische Schweizer Bilderbuchlandschaft aus von Schnee bedeckten Gipfeln, türkis schimmernden Seen und grünen Wiesen hineingezogen werde. Die Schweiz ist wirklich jedes Mal so atemberaubend wie auf den Bildern und genauso wie bei einer blendend schönen Frau sieht man auch hier gern immer wieder darüber hinweg, dass sie eigentlich viel zu teuer für den eigenen Kontostand ist. Noch während ich in Gedanken versunken über den Ausblick und den Schnee, der hier oben immer noch liegt, staune, steht auch schon Ruedi von Allmen mit seinem rot glänzenden Traktor vor mir. Eine kurze Begrüßung und einem Hinweis, dass ich kein bisschen Schweizerdeutsch verstehe, später nehme ich auf dem Beifahrersitz und mein Gepäck auf der Ladefläche Platz und schon geht es noch weiter hinauf.

Der Bauernhof von Ruedi von Allmen ist der höchst gelegene ganzjährig betriebene Hof im Berner Oberland. Auf fast 1900 Metern liegt der Hof mit einer Wahnsinnsrundumsicht auf die berühmten Gipfel Mönch, Jungfrau und Eiger zur einen und dem Schilthorn auf der anderen Seite. Mürren ist ein absoluter Touristenmagnet: Im Sommer pilgern die Menschen entlang der zahlreichen Wanderwege über die grünen, bunt blühenden Wiesen und steilen Hänge bis hoch zu den Gipfeln; im Winter sausen sie in entgegensetzten Richtungen auf Skiern hinab. Wer hier wandern geht oder Wintersport betreibt, der kommt zwangsläufig an Ruedi von Allmen und seinem Hof vorbei.

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© Charlott Tornow

Romantisches Bauernhofleben versus harte Stallrealität

Wenn man die Berge liebt, kann man sich kaum einen schöneren Ort als Arbeitsplatz vorstellen. Aber zum Genießen der Aussicht bleibt auf einer Alm kaum Zeit. Eine Woche lang möchte ich die Familie von Allmen im Zuge des Bergeinsatz-Projektes der Schweizer Caritas unterstützen; da arbeiten, wo andere vorbei wandern, frische Bergluft schnuppern und sich ein romantisches Leben auf dem Bauernhof vorstellen. Wie wenig romantisch das Bauernhofleben allerdings ist und wie schlecht vorbereitet ich dazu noch bin, stelle ich direkt nach meiner Ankunft fest.

Ich werde sofort in die Arbeit im Stall eingespannt, für die ich mich, zumindest was die Kleidung betrifft, nicht gut präpariert habe. Ich habe mich beim Packen, warum auch immer, für meine beste Wanderhose als Arbeitskleidung entschieden. Meine Sachen sind nicht nur sofort dreckig (wovon ich ausgegangen war), sie nehmen auch den Geruch der 40 Küche, Kälber und Rinder an, die über die Wintermonate im Stall wohnen. Serena – die im Sommer 2020 ihren ersten Freiwilligeneinsatz hier leistete und seit November des selben Jahres als feste Angestellte auf dem Hof arbeitet – zeigt mir als erstes den Raum, wo die Stallkleidung hängt. Der, nennen wir es liebevoll "Geruch", macht mir sofort klar, dass man mit den Sachen definitiv kein anderes Gebäude betreten sollte.

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Mürren und der Ausblick auf die umliegenden Berge © Charlott Tornow
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Ruedi von Allmen beim Befestigen der Zäune © Charlott Tornow

Ausmisten, füttern, melken und von vorn

Ich fühle mich kurz wie Paris Hilton und Nicole Richie in The Simple Life, wie ein verzogenes Großstadtmädchen und etwas überfordert – aber das alles ist beim Anblick vor allem der Kälber schnell vergessen. Ein Runde Kuscheln und Abschlecken lassen mit den verspielten Jungtieren ist ab Tag 2 bereits obligatorisch, noch bevor es ans Füttern der anderen Tiere geht. (Sorry!) Obwohl ich darauf bestehe, so früh wie Ruedi und Selena aufzustehen, lassen mich die beiden immer bis 7 Uhr schlafen. Für sie selbst beginnt der Tag, solange die Tiere noch im Stall und nicht ganztägig auf der Weide sind, mit dem Klingeln des Weckers um 4.45 Uhr. Bis zum Frühstück um 8 Uhr füttern und melken sie die Kühe, tränken die Kälber und misten die Ställe aus. Um 9 Uhr geht es wieder ans Füttern und Ausmisten; alle drei Tage müssen die Tiere außerdem an die frische Luft – ein kleiner Kraftakt bei 40 Tieren. Um 12 Uhr gibt es Mittagessen, danach geht das Spiel mit dem Füttern, Ausmisten und Melken von vorne los. Mit Einsetzen der Schneeschmelze werden außerdem die Zäune der Almwiesen vom letzten Jahr befestigt, damit die Tiere, sobald der Frühling einsetzt, auf die Weide können, wo sie bis zu Beginn des Winters bleiben.

Ausmisten, Füttern, Melken – das klingt für Außenstehende möglicherweise wenig anspruchsvoll. Und tatsächlich kann man bei der Arbeit auch wunderbar den Kopf abschalten, wenn man den Geruch im Stall erstmal ausgeblendet hat. Aber die Arbeit ist körperlich wahnsinnig anstrengend. Kühe müssen konstant essen, also ist man im Stall permanent damit beschäftig, Heu nachzulegen. Und weil Kühe aus dem selben Grund ständig scheißen, muss der Stall sauber gehalten werden. Ein unendlicher Kreislauf, dem man als Bauer nur entkommt, wenn die Kühe im Sommer endlich auf den Wiesen stehen, wo sich die Ausscheidungen breittreten und für eine natürliche Düngung des Bodens und des Grases sorgen. Die Arbeit geht, das merke ich schon nach dem ersten Tag, auf den Rücken, denn fast alles passiert in halb gebeugter Haltung – auch im Sommer, wenn jeden Tag Heu geerntet wird, mit dem die Kühe dann im Winter gefüttert werden. Ruedi von Allmens Mutter, die den Hof zuvor führte, ist erst 65 Jahre alt, aber körperlich bereits so geschädigt, dass sie nachts vor Schmerzen aufwacht und dann durchs Haus tigert. Und auch ihr Sohn Ruedi hat mittlerweile eine verletzte Schulter, weshalb er umso mehr auf die Hilfe von Freiwilligen wie mir angewiesen ist.

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Serena im Heulager und beim Ausmisten © Charlott Tornow

Für dieses Leben braucht man sehr viel Leidenschaft

Um diese Arbeit Tag ein, Tag aus zu machen, muss man schon viel Leidenschaft für die Sache mitbringen, denn man hat eigentlich nie Pause oder Urlaub. Und auch finanziell lohnt sich das Ganze kaum – vor allem nicht in einer so schwierigen Zeit wie während einer Pandemie. Denn die von Allmens leben von den Verkäufen ihres Käses, der bei einem befreundeten Bauern in Mürren hergestellt wird. Wenn keine Touristen am Hof vorbeikommen und den Käse aus dem kleinen Kühlschrank, der an der Seite des Stalls angebracht ist, mitnehmen – dann gibt es auch keinen Umsatz. Und mit dem gelegentlichen Verkauf eines Kalbes sorgt die Familie vielleicht für ein paar Wochen vor.

"Es ist beeindruckend, wie viel Arbeit hier drin steckt", erzählt mir Serena, als ich gerade dabei helfe, das Heu aus dem riesigen 750 Kubikmeter großen Heulager in den Stall unter uns zu befördern. "Erst wird das Gras per Hand gemäht, dann kommt es ins Silo, wird gestapelt und getrocknet und dann bis zum Ende des nächsten Frühlings an die Kühe verfüttert. Irgendwann werden die Kühe schwanger, geben Milch, mit der die Kälber gefüttert werden. Vielleicht verkaufen wir dann irgendwann auch mal eines der Kälber. Erst dann lohnt sich das Ganze."

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Der Käse lagert in einem kühlen Raum auf dem Bauernhof bis zu zwei Jahre, bevor er verkauft wird © Charlott Tornow
Vermutlich ist es das, was die Menschen an einem Arbeitseinsatz hier reizt: die körperliche, ja halt auch irgendwie ehrliche Arbeit, das Gefühl am Ende des Tages was geschafft und nicht nur stupide am Rechner Emails beantwortet zu haben.

Gerade die Heuernte im Sommer ist herausfordernd. In den tiefer liegenden Regionen kann das Heu auch mit Maschinen geerntet werden, hier oben an den steilen Hängen ist das nur per Hand möglich. Dann benötigen die von Allmens die meiste Hilfe von Freiwilligen. Da es während meines Aufenthalts noch schneit, stehe ich meistens im Stall, an einem sonnigen Tag befestigen wird aber einen Teil der Zäune, wobei ich einen Eindruck davon bekomme, wie anstrengend das Arbeiten an den Hängen ist – und wie wenig vergleichbar beispielsweise mit einer anspruchsvollen Wanderung. Denn ständig muss man mit Holzbohlen in der Hand hoch- und runterlaufen – in unbefestigtem Terrain.

Aber die Aussicht und die Luft sind hier draußen auch wesentlich besser – und genau deshalb melden sich im Sommer immer wieder Freiwillige an. "Eine Frau kommt seit zehn Jahren immer wieder hierher", erzählt mir Ruedi. "Vor Kurzem hat sich auch ein 75-Jähriger für drei Wochen angemeldet. Wir hatten schon Piloten und Chemiker da, die Leute lernen sich hier kennen, werden Freunde und irgendwann sehen wir sie wieder." Ruedi erzählt mir, dass mehr Frauen als Männer einen Einsatz hier oben leisten und dass Frauen tougher seien und schneller verstünden. "Die lassen nicht so lange mit sich diskutieren, sondern machen einfach."

Ich muss ein bisschen schmunzeln, vor allem weil ich nach dem ersten Tag ja schon ziemlich kaputt bin und nicht so tough wie ich gedacht hätte. Aber vermutlich ist es das, was die Menschen an einem Arbeitseinsatz hier reizt: die körperliche, ja halt auch irgendwie ehrliche Arbeit, das Gefühl am Ende des Tages was geschafft und nicht nur stupide am Rechner Emails beantwortet zu haben. Auch ich würde wiederkommen, denn was einem die Arbeit hier oben lehrt ist, wie privilegiert man selbst ist und was für eine anstrengende und wertvolle Arbeit die Bauernfamilien leisten, denen man beim Wandern vermutlich nur ein freundliches Hallo entgegen ruft, während man sich schon genüsslich ein Stück Käse in den Mund schiebt.

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