Ist die Reise mit dem Frachtschiff eine nachhaltige Alternative?

© Martin Damboldt | Pexels

von Uta-Caecilia Nabert

Ich habe Zeit und ich will sie nutzen. Noch bevor mein Abenteuer, ein Working-Holiday-Jahr in Kanada, losgeht, möchte ich etwas erleben. Drei Klicks am Laptop und ich stoße auf die Seite von langsamreisen.de, eine Agentur, die Mitfahrten auf Containerschiffen anbietet. Die Website wirbt mit dem Slogan „Nachhaltiges und bewusstes Reisen“. Arne Gudde, Geschäftsführer der Agentur, will mit seinem Angebot die Frage beantworten, „wie wir unseren CO2-Verbrauch reduzieren und unserem inneren Zwang, weit weg zu reisen, möglichst umweltfreundlich begegnen können.“

Letzten Endes buche ich aus logistischen Gründen über die Hamburg Süd Reiseagentur, aber das ändert nichts am Ergebnis: Eines späten Abends stehe ich um 22 Uhr abends am Heck der „Atlantic Sea“. Ich schaue auf die Elbphilharmonie, die langsam kleiner wird. Wie still es ist. Ein paar Möwen kreischen, das ist alles. Rechts hieven kaum hörbar hochhaushohe Kräne im gelben Kegel der Flutlichter Container auf Schiffe. Links ziehen Backsteingebäude und ein blau erleuchtetes Varieté vorbei.

Es ist ergreifend: Ergreifend schön und zugleich noch aufregender, als mit dem Flieger zu reisen. Ich komme mir vor wie die größte Abenteurerin aller Zeiten und flüstere Deutschland zu: „Mach's gut. Ich fahre jetzt nach Amerika. Und ich werde für eine sehr lange Zeit nicht wiederkommen.“ Über allem steht ein klarer weißer Vollmond – und davor steigt eine riesige Rauchsäule aus dem Schiffsschlot in den dunklen Nachthimmel auf. Das ist der Moment, in dem meine Euphorie weicht und ich nachdenklich werde: Ist es das wirklich wert? Nur, weil ich reisen will und nur, weil irgendwelche Menschen irgendwelche Güter kaufen wollen, die sie vielleicht gar nicht brauchen, wird so viel CO2 in die Luft gepustet? Allein die „Atlantic Sea“ hat vier Schwesternschiffe, die Woche um Woche die Route Europa – Nordamerika abfahren, um jeweils bis zu 3.850 Container und unzählige Autos, Landmaschinen, Wohnmobile oder Baumaschinen von A nach B zu bringen. Laut dem Verband Deutscher Reeder ist der gesamte Seehandel von rund 2,5 Milliarden Tonnen im Jahr 1970 auf mittlerweile 11,1 Milliarden Tonnen angewachsen.

Der Müll bleibt an Bord

Ich schiebe die negativen Gedanken beiseite, genieße die Tage an Bord, das gemeinsame Essen mit der Crew, die Schiffsführung, die Aussicht von der Brücke und den Landgang in Liverpool. Eine Woche später erklärt mir Kapitän Piotr Kaminski, dass sein Schiff gar nicht so umweltfeindlich sei. Die „Atlantic Sea“ ist demnach keine drei Jahre alt und entspricht höchsten Standards: Der Ausstoß von Schwefeloxid gehe gegen Null, da diese Schadstoffe zuvor herausgefiltert und an Land gebracht würden. Gleichzeitig fahre sie mit einem CO2- und Sulfurreduzierten Treibstoff, der etwas teurer sei als andere.

Auch sagt Kaminski, dass die Techniker sämtliche Abwässer, die an Bord entstehen, mithilfe von Bakterien behandeln, filtern und in angemessenem Abstand zur Küste ins Meer spülten. Bei einem Blick in die Bordküche fallen mehrere Abfallbehälter auf, die an der Wand stehen. „Wir achten sehr auf Mülltrennung, sonst gibt's Ärger mit dem Käptn“, erklärt mir Steward Alvin. Alle Abfälle, selbst der Kompost, gingen dabei nicht einfach über Bord, sondern würden in einem Hafen an Land gebracht. „Die Essensabfälle dürften wir nur dann auf hoher See entsorgen, wenn wir sie vorher mit einem Häcksler zerkleinert hätten“, erläutert er.

Schön und gut, doch die Crew, inklusive des Kapitäns, weiß sehr genau, dass ich nicht nur Reisende, sondern auch Journalistin bin. Stimmt ihre Version von der umweltfreundlichen „Atlantic Sea“? Was sagen die Experten? Ein paar Wochen nach meiner Ankunft in Kanada setze ich mich mit Greenpeace und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Verbindung.

Nur ein Segelboot wäre umweltfreundlicher

„Nur ein Segelboot wäre eine noch bessere Alternative zum Frachtschiff“, ist Jörg Fedderns erstes Fazit. Er ist Diplom-Biologe und Kampaigner bei Greenpeace. Und auch Prof. Dr. Robert Sausen vom DLR sagt: „Durch die Wahl des Containerboots als Reisemittel verringert sich der CO2-Fußabdruck mindestens um den Faktor Hundert.“ Beide Experten weisen darauf hin, dass das Schiff ohnehin gefahren wäre und dass die bis zu zwölf Passagiere, die die „Atlantic Sea“ hätte mitnehmen können, nicht im Geringsten ins Gewicht fallen würden – bei den vielen tausend Tonnen, die ein solcher Frachter bewegt. Sausen sagt sogar: „Bei Schiffen ist die CO2-Emission pro Tonnenkilometer besonders effizient – viel besser als bei Flugzeugen.“

Und dann folgt das ABER: Greenpeace weist darauf hin, dass die meisten Schiffe immer noch mit Schweröl fahren, was der umweltschädlichste Kraftstoff überhaupt sei. Wie schmutzig er ist, wird deutlich, als Sausen erwähnt, dass oft auch das Motoröl unserer Autos nach dem Ölwechsel als Treibstoff an die Reedereien verkauft wird. Ein großes Problem, das hierbei bei der Verbrennung entsteht, ist der Schwefelausstoß. Deswegen dürfen Schiffe in bestimmten Gebieten auch nur mit einem Kraftstoff fahren, der lediglich bis zu 0,1 Prozent Schwefel enthält. Laut Greenpeace sind dies die Nord- und Ostsee sowie das Küstengebiet der EU, USA und Kanadas. Überall sonst gelte ein erlaubter Höchstwert von 3,5 Prozent. Erst 2020 soll Feddern zufolge auch für diese restlichen Gebiete der Grenzwert gesenkt werden: auf nur noch 0,5 Prozent Schwefelanteil im Kraftstoff.

Problemkinder Schwefel und Kohlendioxid

Dem Schwefelproblem kann man jedoch bereits jetzt begegnen: mit einem so genannten Scrubber, der auch auf der „Atlantic Sea“ zum Einsatz kommt. Mit dieser Technologie wird Robert Sausen zufolge der Schwefel in den Abgasen in Form von Gips zurückgewonnen, einem harmlosen Stoff also, der an Land deponiert werden kann. Allerdings ist der Einbau eines Scrubbers in Schiffen bisher nicht vorgeschrieben, die Zahl der Schiffe, die ihn nutzen, schätzen die Experten als sehr niedrig ein – die „Atlantic Sea“ gehört zu den vorbildlichen Ausnahmen.

Und selbst jene Schiffe, die den Scrubber eingebaut haben, können eines ganz bestimmt nicht: das CO2 herausfiltern. Darin sind sich Sausen und Feddern einig. Das gehe mit keinem technischen Instrument, sagen sie.

Schon lange plädiert Greenpeace für eine Schifffahrt der Zukunft, die verstärkt auf Erdgasantrieb und irgendwann auf Wind, Solarenergie oder Elektroantrieb setzt, was sowohl die CO2-Bilanz als auch die Bilanz der Stickoxide und Schwefel verbessern würde. „Bisher kann die Schifffahrt zumindest schon einmal durch die Anpassung des Schiffdesigns oder durch die Optimierung von Fahrtrouten einen Beitrag zum Klima- und Umweltschutz leisten“, so Feddern. Auch die Nutzung von Landstrom, wenn die Schiffe in den Häfen lägen, könne die Luftqualität deutlich verbessern. Die Alternative ist nämlich, dass sie mittels dieselbetriebenen Generators an Bord ihre eigene Energie erzeugen und das verursacht weitere Abgase.

Achtung, Wale!

Auch im Gespräch mit einer anderen NGO wird mir klar, dass die Schifffahrt, so romantisch eine Seefahrt auch ist, eben nicht nur positive Seiten hat: Immer wieder kommt es laut der gemeinnützigen Organisation "Whale and Dolphin Conservation" (WDC) zu Unfällen mit Walen – entweder würden sie durch die Schiffsschraube verletzt, oder im Ganzen überfahren – ohne, dass Kapitän oder Crew das wollen beziehungsweise überhaupt mitbekommen.

Dementsprechend schätzt WDC die Dunkelziffer als recht hoch ein, seit dem Jahr 1950 hat die Internationale Walfangkommission (IWC) immerhin rund 1.500 solcher Vorfälle dokumentiert – Tendenz steigend. Verhindern ließe sich dies, so Fabian Ritter vom WDC, zum Teil, wenn die Schiffe langsamer führen – und zwar nicht nur Handelsschiffe, sondern auch etwa die kleinen und großen Fähren, die zur Freude der Anwohner und Touristen weltweit viele Inseln mit dem Festland verbinden. Einige Staaten haben deshalb mittlerweile Schutzgebiete mit Tempolimits eingerichtet.

Besser, doch nicht unproblematisch

Die Containerschifffahrt beziehungsweise die Schifffahrt im Ganzen ist immer noch extrem problematisch. Doch wer vor der Entscheidung steht, ob er eine lange Strecke auf einem Frachter oder im Flieger zurücklegt, fährt umwelttechnisch immer noch besser mit dem Frachter – vorausgesetzt, er kann es sich leisten: Für die Strecke Hamburg – Halifax zahlt man circa 1.300 Euro und ist zwei Wochen lang unterwegs. Zudem sind Verspätungen von mehreren Tagen nicht unüblich.

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