Wo sich Rentier und Wolf gute Nacht sagen – So nimmst du die perfekte Auszeit in Finnland
Wenn wir an unendliche, blaue Seenlandschaften und dichte, immergrüne Wälder denken, dann fällt vielen als erstes Schweden ein. Das Land ist für viele Deutsche die erste Wahl beim Skandinavienurlaub und dementsprechend vor allem im Sommer ziemlich überrannt. Was viele nicht wissen: In Finnland, dem östlichen Nachbarn Schwedens, ist es mindestens genauso schön – und dazu noch wesentlich ruhiger und untouristischer. Dabei haben die Finnen einen regelrechten Kult um die Auszeit auf dem Land entwickelt. Cottage holiday bedeutet, das stressige Großstadtleben hinter sich zu lassen und sich aufs Wesentliche zu konzentrieren.
Die Auszeit beginnt schon bei der Anreise, denn was für die Deutschen die Autobahn oder für die Amerikaner die endlosen Highways sind, ist für die Finnen die "cottage road". Je enger, wilder und verlassener, desto besser – denn sie bereitet den Besucher auf die Abgeschiedenheit und die damit einhergehende Ruhe vor. In Finnland gibt es sogar eine Hymne auf die cottage road, geschrieben hat sie der Musiker Arttu Wiskari. In seinem Lied "Mökkitie" singt er: "Dad please let me drive the cottage road, I promise I'll carry the water to sauna, I remember the pebbles and stumps of this gravel road." Hach...
Übernachten in den gemütlichen Cottages des Hawkhill Nature Resort
Die Straße zum Hawkhill Nature Resort erfüllt alle Anforderungen und ist dazu auch noch so abgelegen und unbekannt, dass ich den Taxifahrer von der nächsten größeren Straße 20 Minuten mit dem Handy durch den Wald navigieren muss. Gerade als ich anfange, die Streckenführung zu bezweifeln, passieren wir plötzlich ein Schild, dass uns auf privates Gelände hinweist, und in der nächsten Kurve folgen auch schon die vereinzelt im Wald stehenden Hawkhill-Cottages.
Bereits 1961 baute der Großvater der Geschwister Annu Huotari, Matti Huotari und Kaisa Ala-Outinen hier das erste Ferienhaus. Eino fällte die Bäume auf dem erworbenen Land selbst und sägte sie passend zurecht. Dazu schuf er die cottage road, damit die Großstädter aus Helsinki die Häuser am See erreichen konnten. Bis 1977 baute Eino zehn Cottages. Später übernahm Einos Sohn das Familienbusiness, heute zeichnen sich wiederum dessen Kinder Annu, Kaisa und Matti für die Leitung verantwortlich. Das Familienerbe ist den Drei wichtig: Alle Häuser sind nach Familienmitgliedern benannt.
Die gemütlichen Cottages, die ab vier Personen Platz bieten, haben all die Merkmale, die man sich von einem perfekten Ferienhäuschen wünscht. Sie liegen ruhig und abgeschieden von jeglichem Trubel in einem dichten, grünen Wald und direkt an dem kleinen See Kaitlampi. Jedes der entweder traditionell finnisch oder modern skandinavisch eingerichteten Häuser besitzt eine eigene Sauna (wir sind ja nicht umsonst in Finnland) und einen Kamin, damit man sich im Winter aufwärmen kann. Im Sommer kann man vom eigenen Steg direkt in den See springen (im Winter natürlich auch, wer sch traut), fischen gehen, mit dem Kanu fahren, mit der Familie und den Freunden ein BBQ machen, im Wald Beeren und Pilze sammeln oder einfach nur auf der Terrasse die frische Luft genießen.
Auffällig zu vielen anderen finnischen Ferienhäusern ist die Bauweise der Hawkhill-Cottages. Während das Fundament aus Stein besteht, zieren dicke Baumstämme aus Deadwood und Pinie die Fassade und ragen an den Seiten spitz hervor. Annu Huotari erklärt mir, wie wichtig ihnen Nachhaltigkeit und die Nähe zur Natur sind: Die Häuser sind alle aus nachhaltigen Materialien und mit so wenig Beton und synthetischen Materialien wie möglich gebaut, der genutzte Strom ist CO2-frei, die Heizung wird zentral betrieben und nur auf Nachfrage aufgedreht (alle Zimmer haben die empfohlene Raumtemperatur von 21 Grad). Alle Shampoos und Reinigungsmittel, die in den Häusern genutzt werden, sind vegan und nachhaltig und beim Catering, das optional dazu gebucht werden kann, setzen die Betreiber auf lokale Produzenten, zum Beispiel aus dem nahegelegen Ort Ojakkala.
Wandern durch den Nuuksio Nationalpark
Wenn man den etwas weiteren Weg zu den Hawkhill-Cottages auf sich nimmt, sollte man auch viel Zeit mitbringen, denn es kann gut sein, dass man nicht mehr gehen will. Auch der Nuuksio Nationalpark macht es einem wahrlich schwer. Überhaupt ist ja die Natur einer der herausragenden Gründe, warum man Urlaub in Finnland machen sollte: 86 Prozent der Landfläche sind bewaldet, tausende Seen ziehen sich durch die grünen Landstriche. Der Nuuksio Nationalpark bildet da keine Ausnahme: Laub- und immergrüne Nadelmischwälder stehen dicht an dicht, dazwischen liegen Moore und über 80 Seen und Weiher und sorgen vor Allem zu Sonnenauf- und -untergang für eine mystische Stimmung.
Ich entscheide mich für eine 10 Kilometer lange Wanderung vom Hawkhill quer durch den Wald in Richtung Haltia Naturzentrum. Die Rundwanderwege hier sind alle gut ausgeschildert, sodass man auch ohne Handy-Navigation zum Ziel kommt. Vor allem rund um das Hawkhill stehen die Bäume dicht, surreal grünes Moos wächst auf kleinen Felsvorsprüngen und gerade am Morgen liegt über den Mooren noch ein Dunstschleier. Weit und breit ist hier niemand zu sehen oder zu hören, nur das Rauschen des Windes, das Plätschern kleiner Bäche und hier und da der Gesang eines Vogels. Entlang der Wege befinden sich Plätze zum Grillen oder Campen – eine gute Beschäftigung im Sommer. Wenn im Winter die Seen zugefroren sind und hoher Schnee liegt, kann man hier Schlittschuhlaufen oder Langlaufen.
Das Haltia Naturzentrum erreiche ich nach rund zweieinhalb Stunden. In dem Gebäude befindet sich ein Museum mit einer interaktiven Ausstellung, in der die Natur Finnlands erlebt werden kann. Auch hier wird Nachhaltigkeit groß geschrieben: Das Haltia ist das erste öffentliche Gebäude in Finnland, das komplett aus Brettsperrholz gebaut wurde, was im Vergleich zu Stahl und Beton eine bessere CO2-Bilanz aufweist. Dazu wird im Restaurant des Museums fast ausschließlich mit regionalen und nachhaltig angebauten Lebensmitteln gekocht.
Rentiere streicheln Reindeer Park
Nur wenige Gehminuten vom Haltia Naturzentrum entfernt liegt der Reindeer Park Nuuksio, in dem die einzigen Rentiere im Süden Finnlands heimisch sind. Im Winter, wenn der Schnee hier dicht und hoch liegt, kann so durchaus Lappland-Feeling aufkommen. In dem weitläufigen Park leben gerade mal sechs Tiere, um die sich die Pflegerinnen fürsorglich kümmern. Den Besuchern erklären sie alle möglichen Fakten, die man über die entspannten Tiere wissen sollte: Rentiere ernähren sich hauptsächlich von Flechte, die die Weibchen im Winter sogar durch zwei Meter dichten Schnee riechen können. Das Rentier-Männchen mit dem größten Geweih ist das Alpha-Tier, allerdings kann die Rangfolge auch schon mal wechseln, wenn die Rentiere ihr Geweih im Frühjahr abwerfen. Das Alpha-Tier kriegt alle Weibchen ab, alle anderen müssen sich bis zur nächsten Saison gedulden. Und mein Lieblings-Fun-Fact: Rentiere können ausschließlich im Stehen pinkeln, weshalb sie circa alle sieben Kilometer anhalten müssen. Das Wort dafür im Finnischen ist Poronkusema und eine alte finnische Maßeinheit, um die Entfernung zu bestimmen.
Im Park gibt es eine kleine Plattform, auf der die Touristen die Rentiere mit Flechte füttern können. Auch hier gibt es eine Rangfolge: Kein Tier drängelt sich dazwischen, der Reihe nach gehen Männchen und Weibchen an dem Holzzaun entlang und rupfen die Flechte aus den Händen der Besucher. Wer mehr Zeit mit den liebevollen Tieren verbringen möchte, kann auch ein Rentier-Trekking durch den Nuuksio Nationalpark buchen. Oder man übernachtet in einer der kleinen hölzernen Hütten, die auf dem Gelände stehen. Wenn die Rentiere neugierig genug sind, kommen sie ans Fenster und lassen sich direkt vom Bett aus füttern, während man selbst noch den Morgenkaffee trinkt.
Im Park gibt es übrigens auch ein klassisches Zeit (Kote) der Samen (das inidgene Volk Nordskandinaviens). Hier kann man sich im Winter am Feuer wärmen, frisch gebackene Zimtrollen und frisch gekochten Kaffee genießen, Stockbrot oder geräucherten Lachs essen. Das ganze Erlebnis ist stilecht Finnisch und so schön gemacht, dass man sich sofort heimisch fühlt.
Anfahrt zum Nuuksio Nationalpark und dem Hawkhill Nature Resort
Von Helsinki kommt man in einer knappen Stunde zum Nuuksio Nationalpark. Vom Hauptbahnhof Helsinki fährt regelmäßig ein Zug in 20 Minuten nach Espoo, von dort bringt der Bus 245 die Besucher direkt bis zum Haltia Naturzentrum und weiter zum Reindeer Park. Die Anfahrt zum Hawkhill ist mit dem eigenen Auto am einfachsten. Alternativ fährt man mit dem Bus bis Vaikkola und nimmt von dort aus ein Taxi.