So können wir unsere Weltoffenheit auch in Corona-Zeiten retten

© Filip Bunkens | Unsplash

von Patrizia Barbera

„Oh, mein Gott! Was habe ich getan?“, hämmert es in meinem Kopf, während ich so unauffällig wie möglich einige Schritte zurückgehe, meinem Gegenüber angestrengt  lächelnd zuhöre und hin und wieder bestätigend mit dem Kopf nicke. Nicht, dass er merkt, was ich denke!

Zum ersten Mal seit Langem gönne ich mir den „Luxus“, mit einem der Mit-Camper hier auf dem Campingplatz in Portugal länger zu quatschen. Es ging einfach nicht mehr — Abstand, Abstand, Abstand und von Weitem mal hier oder da ein verhuschtes Kopfnicken. Ich hatte das Gefühl, zu vereinsamen, obwohl um mich herum lauter nett aussehende Menschen sind. 

Jetzt also unterhalte ich mich endlich mit unseren Camp-Nachbarn und erfahre, wie lange er schon unterwegs ist und bleiben will. Doch während meine Sozialkontakt-Glückshormone Achterbahn fahren und ich eben noch dachte „Wie gut das tut, endlich mal wieder mit jemandem zu quatschen!“, dreht sich jetzt alles, denn mein eigentlich nettes Gegenüber hat soeben den Horror-Sound 2020 produziert:

"*husthust*… ja, und deshalb wissen wir auch noch nicht so genau, wie es dann ist mit *husthust* der Lage… und dann schauen wir *husthusthust*…"

Husthusthusthusthusthusthust! Nicht in die Armbeuge! Nicht in die Maske! Denn die ist natürlich nicht vorhanden bei unserem spontanen Geplauder. Sondern: Direkt in mein Gesicht! Die Achterbahn stürzt steil in den Abgrund. 

Corona macht uns zu Soziophobikern

Ob er an meinem Blick und schleichendem Rückzug merkt, dass ich ihn gerade vom Freund zum Feind umkategorisiert habe? Bin ich paranoid? Unhöflich? Oder ist es einfach nur schlau, so zu denken und handeln?

Corona hat die Welt auf den Kopf gestellt und meine gleich mit. Ich kenne mich so gar nicht, ich bin nämlich eigentlich ganz anders. In allen Städten, in denen ich die vergangenen Jahre gelebt habe, sei es kurz oder lang, kannten mich Caféhausbetreiber und Baristas nach kurzer Zeit schon immer so gut, dass ich nur zur Tür reinkommen musste und schon wurde die Maschine angeschmissen und meine momentane Lieblingsbestellung in Gang gesetzt, gefolgt von einem ausgiebigen Schwätzchen.

Das lag vor allem daran, dass ich (meistens) mit sehr guter Laune, einem Lächeln auf den Lippen und neugierigem, offenem Blick in die Cafés, Bäckereien, Supermärkte und Straßenbahnen dieser Welt gestürmt bin, um mit allen zu quatschen, die spannend und nett wirkten. Einfach so. Einfach, weil es zu meinem Wohlfühlgefühl gehörte und automatisch so war.

Andere, das sind zwar immer noch spannende, nette Menschen, aber sie sind auch potenzielle Virenträger, wie mir die Nachrichten jeden Tag seit über einem halben Jahr eindrücklich einhämmern und deshalb gilt es mich (und alle die mir lieb sind und denen ich zukünftig begegne) zu schützen.

Dieses "automatisch" ändert sich gerade und ich merke die Effekte davon mehr und mehr. Ich erinnere mich kaum, wie sich das angefühlt hat. Es ist schon so lange her, dass ich das letzte Mal so unbedarft und frei in ein Café spaziert bin oder eben wie jetzt auch nur nett und lange mit meinem Camping-Nachbarn gequatscht habe. Mein neues Ich verhält sich jetzt ganz anders.

Andere, das sind zwar immer noch spannende, nette Menschen (meistens und bestenfalls), aber sie sind auch potenzielle Virenträger, wie mir die Nachrichten jeden Tag seit über einem halben Jahr eindrücklich einhämmern und deshalb gilt es mich (und alle die mir lieb sind und denen ich zukünftig begegne) zu schützen. Und wie? Mit Abstand, mit Stille, mit unauffälligem Zurückweichen, wenn der Andere zu nah kommt und mich (dreist! unbedacht?) anhustet – seit zwei Minuten.

Mir ist glasklar und bewusst, wieso wir uns alle so verhalten müssen, die Frage ist nur: Was macht das mit uns auf Dauer? Mit mir? Und gibt es vielleicht einen angenehmeren Mittelweg?

Was macht diese soziale Isolation eigentlich mit uns und unserer Weltoffenheit?

Mir fällt nämlich neuerdings eine Taktik auf, die andere benutzen und die ich mir — wenn ich ehrlich bin — auch zu eigen gemacht habe: Unfreundlich gucken!

Denn die Maske nervt, die Pandemie nervt und man muss immer auf der Hut sein beim Einkaufen, Cafébesuch und beim Spazieren durch Menschengedränge in der Stadt. Schaue ich mich um, gucken alle entweder leicht genervt, zu Boden oder ins Smartphone. Es ist wie eine Maske über den Augen: Unfreundlich oder gar nicht schauen bedeutet "Bleib bloß auf Abstand!" Denn gerade durch den direkten Blick in die Augen der Anderen und ein Lächeln habe ich vor Corona oft die unsichtbare Barriere zu Fremden gebrochen und kam so mit Menschen spontan ins Gespräch.

Corona bekommt man nicht vom Anlächeln. Lächeln wiederum ist tatsächlich ansteckend und macht deshalb nicht nur dir, sondern auch anderen gute Laune.

Macht uns die Corona-Zeit also schleichend zu Soziophobikern? Das muss nicht sein! Zumindest nicht, wenn wir uns einige Dinge bewusst machen. Unsere Weltoffenheit können wir retten, wenn wir uns immer wieder daran erinnern, dass man zwar sehr aufpassen muss und sollte, aber nichts dagegen spricht, trotzdem offen zu bleiben für Neues und andere Menschen.

Corona bekommt man nicht vom Anlächeln. Lächeln wiederum ist tatsächlich ansteckend und macht deshalb nicht nur dir, sondern auch anderen gute Laune. Mit diesen Gedanken blicke ich Anderen weiterhin bewusst in die Augen, besonders in stressigen Situationen wie im Supermarkt oder im Gedränge. Ich verinnerliche mir, dass wir das jetzt ja alles sicher nicht wahnsinnig toll finden und daraus entsteht dann manchmal sogar ein wohliges Gemeinschaftsgefühl. 

Zusätzlich hilft es mir, einige einfache Regeln zu befolgen, mit denen ich mich im Alltag und besonders beim Reisen sicher fühle. Wenn das erstmal abgehakt ist, kann ich innerhalb dieser selbstbestimmten Wohlfühlzone wieder offen auf Andere zugehen.

Lächeln ist ansteckend: Einfache Regeln für mehr Weltoffenheit

Natürlich habe ich immer meine Maske und Desinfektionsmittel in der Tasche. Was das Reisen an sich betrifft, liege ich schrecklich im Trend, denn wer derzeit weder mit dem Flugzeug noch der Bahn reisen will, der hat sich entweder einen Camper-Van gemietet, oder, wie ich, in den vergangenen Monaten selbst umgebaut. Das macht den Abstand und die Unabhängigkeit von anderen Reisenden natürlich erstmal besser.

Sieht man sich trotzdem mal im Waschhaus oder im Café und findet sich sympathisch, kann man ganz einfach winken oder von Weitem ein Gespräch anfangen. Wer’s lieber noch sicherer hat, der kann sich auch mit Online-Communitys verbinden und austauschen, die gerade relevant sind für den Ort, an dem man sich befindet. Inzwischen gibt es eine ganze Armada an Apps und Webseiten, auf denen
man mit Gleichgesinnten in Kontakt treten kann: Backpackr, Couchsurfing, InterNations und MeetUp sind ebenso beliebt wie spezielle Gruppen auf Facebook. In meinem Fall sind das die Gruppen "Vanlife Portugal" und "Girl Gone International Portugal" auf Facebook.

So hat man zumindest das Gefühl, dass die eigene Weltsicht und das so geliebte Neues-und-neue-Menschen-Kennenlernen nicht ganz auf „Stopp“ stehen – bis wir uns dann alle endlich wieder unbedarft und gut gelaunt auf ein ausgiebiges Spontanschwätzchen treffen können.

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