Auf den Spuren meines Großvaters – Wie ich das Schwarzatal in Thüringen entdeckt habe
von Daniela Pensold
Heutzutage prägt vor allem das Internet unsere Reise-Bucketlist. Aber mal Hand auf's Herz, wann hast du das letzte Mal einen Sehnsuchtsort jenseits von Blogs, Instagram & Co entdeckt? Eine tolle Quelle der Reiseinspiration sind seit vielen Jahren die Reisejournale meines Großvaters. In diesen lassen sich noch richtige Geheimtipps abseits von ausgetrampelten Touristenpfaden entdecken. Er selbst war in seiner Jugend – mit selbstgenähtem Zelt und Plattenkamera ausgerüstet – viel per Pedales innerhalb Deutschlands unterwegs. Seine alten Fotos, Tagebücher und handgezeichneten Karten inspirieren mich regelmäßig für neue Reiseziele. Mein letzter Fund hat mich besonders begeistert: Das Album „Mit dem Rad durch das Schwarzatal“ zeigte mir eine märchenhaft anmutenden Landschaft in einer mir bis dato vollkommen unbekannten Gegend. Ich war von seinen Eindrücken so fasziniert, dass ich mir meinen Freund schnappte und das Schwarzatal in Thüringen unser nächstes Urlaubsziel werden musste. Selbstverständlich mit dem Rad, genau wie damals bei Opa.
Mit der Schwarzatalbahn auf Zeitreise gehen
Du bist unsicher, ob du dein Fahrrad flexibel nach Thüringen bekommst? Die Anreise mit der Deutschen Bahn ist unkomplizierter als gedacht, im ICE musst du allerdings einen Fahrradplatz vor Reiseantritt reservieren. Dafür ist im Thüringer Nahverkehr sowie der Schwarzatalbahn der Fahrradtransfer kostenlos. Das Schwarzatal liegt nur etwas über drei Stunden Zugfahrt von Berlin entfernt. Tief ins Thüringer Schiefergebirge eingekerbt, verdankt das Tal seinem Namen dem Fluss Schwarza, einem linken Nebenfluss der Saale. Ab Rottenbach verkehrt stündlich auf einer 25 km langen Strecke mit sechs Haltepunkten die Schwarzatalbahn.
Mach es dir bequem und leg das Handy während der Fahrt unbedingt beiseite. Durch das Zugfenster lässt sich nämlich ein perfektes Landschaftskino genießen. Die Fahrt führt durch kleine Ortschaften mit hübschen Namen wie Obstfelderschmiede, Schwarzmühle und Meuselbach. Allein schon die alten Bahnhofsgebäude sind es wert, dass man sich auf die Reise gemacht hat. Den wohl schönsten Bahnhof aus dem Jahre 1900 findest Du in Schwarzburg. Leider fungiert das prächtige Gebäude mit seinen farbig glasierten Schindeln heute nur noch als Haltepunkt, ist aber definitiv einen kleinen Fotostop wert.
Auf den Spuren der Sommerfrische
Egal ob du zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs bist, die Gegend bietet rund um die Schwarzatalbahn ein ausgezeichnetes Wander-und Radwegenetz. Solltest Du gerne wandern, ist der 136 km lange Panoramaweg Schwarzatal eine perfekte Wahl. Auf diesem erwartet dich nahezu unberührte Natur mit riesigen Fichten, schroffe moosbedeckte Felsen, Berge mit großartigen Fernblicken sowie zahlreiche Burgen und Schlösser. Da sich viele Wanderwege auch für Räder eignen, lässt sich das Tal ebenso leicht mit dem Rad erkunden. Besonders der Abschnitt Schwarzburg bis Bad Blankenburg, als Teil des Panoramaweges Schwarzatal, bietet Fahrspaß pur.
Egal, für welchen Weg du dich am Ende entscheidest, du wirst immer wieder feststellen, dass du in diesem Kleinod fast allein unterwegs ist. Die Gegend wirkt vielerorts wie ausgestorben. Das war nicht immer so. Einst war das Schwarzatal ein begehrtes Ziel der sogenannten „Sommerfrischler“. Wer es sich leisten konnte, fuhr mit dem Zug aus den stickigen Industriestädten raus ins Grüne. Die im Schwarzatal vorherrschende „Sommerfrische-Architektur“ zeugt noch heute vom einst boomenden Tourismus. Nach der Wende fiel die ganze Region in einen Dornröschenschlaf, der bis heute anhält. Die einst prachtvollen, mit Giebeln und verglasten Veranden verzierten Häuser warten ungeduldig darauf wiederentdeckt zu werden.
Goldwaschen oder Kräuterelixiere brauen
Schließe die Augen und hole einmal tief Luft. Ein besonders würziger Duft wird dir in der Nase kitzeln. Aufgrund des großen Reichtums an wild wachsenden Kräutern, wird das Schwarzatal auch „Thüringer Kräutergarten“ oder Olitätenland genannt. Oli…was? Olitäten sind Naturheilmittel, die in vergangenen Zeiten von sogenannten „Buckelapothekern“ aus regionalen Kräutern hergestellt und über die Thüringer Grenzen hinaus vertrieben wurden. Besonders im 18. und 19. Jahrhundert war der Handel mit Olitäten ein florierendes Gewerbe, das viel Wohlstand in die Region brachte. Heute kannst Du der fast vergessenen Tradition nachspüren, zum Beispiel auf dem Olitätenwanderweg oder bei einer geführten Kräuterwanderung.
Die Gegend rund um den Fluss Schwarza lockt aber nicht nur mit Blutwurz, Arnika und Fingerhut. Die Schwarza selbst ist vor allem wegen ihres Goldvorkommens bekannt. Schon vor Jahrhunderten wurde in den Flüssen der Gegend nach dem begehrten Edelmetall gesucht. Hin und wieder hat man als Wanderer das Glück, einen Goldwäscher im Flussbett stehen zu sehen. Falls du jetzt Lust auf einen kleinen Goldrausch hast, kannst du, mit Stiefeln und Waschpfannen ausgestattet, unter professioneller Anleitung auch dein Glück versuchen. Vielleicht blickst du danach goldnen Zeiten entgegen.
Gipfel stürmen leichtgemacht mit der Bergseilbahn
Im Örtchen Obstfelderschmiede wartet mit der Oberweißbacher Bergbahn ein weiteres Highlight der Region und ein echter Besuchermagnet. Die denkmalgeschützte Standseilbahn, die aussieht wie eine rollende Treppe, kann mühelos eine Steigung von 25 Prozent überwältigen. Eröffnet wurde die Steilstrecke 1923, um Wirtschaftsgüter und Rohstoffe für die Glas- und Porzellanproduktion zu den schwer erreichbaren Orten auf den Höhenzügen des Schwarzatals zu befördern. Mit etwas Glück erwischt man zwischen Mai und Oktober den „oben-ohne“-Cabriowagen. An der Bergstation Lichtenhain hat man Anschluss an zwei historische Triebwagen aus den 1960er Jahren, die zwischen den oberen Orten hin- und her pendeln. Im fensterlosen Olitätenwagen mit Panoramadach kannst du während der Fahrt dein Kräuterwissen testen und dank bereitgestellter Ferngläser die herrliche Landschaft der Umgebung erkunden.
Entdecke im Schloss Schwarzburg die Grundsteine deutscher Demokratie
Bei einer Reise durchs Schwarzatal darf auch das romantische Schwarzburg samt Schloss nicht fehlen. Schloss Schwarzburg, das malerisch auf einem Bergsporn thront, ist ein Zeugnis bewegender deutscher Geschichte: 1919 unterschrieb Reichspräsident Friedrich Ebert hier die Weimarer Verfassung und legte damit den Grundstein der deutschen Demokratie. Eine Gedenktafel im Kurpark erinnert heute daran. Die Nationalsozialisten, die das Schloss an sich rissen und zu einem Reichsgästehaus umbauen wollten, hinterließen 1940 eine größtenteils ruinierte Schlossanlage. Heute macht der Förderverein durch geführte Audiotouren die dramatische Geschichte des Schlosses erlebbar. Der Schlosspark, der Kaisersaal und das Zeughaus mit seiner einzigartigen Prunkwaffensammlung konnten bereits wieder hergestellt und für Besucher geöffnet werden.
Wenn es dir noch nicht in den Waden zwickt oder du noch etwas länger im Schwarzatal verweilen möchtest, setze auch den weltberühmten Aussichtspunkt „Trippstein“ auf die Karte. Über einen breiten Wanderweg ab Schwarzburg ist die Stelle in 30 Minuten zu Fuß zu erreichen. Der Erfinder des Thüringer Porzellans Georg H. Macheleid, ließ sich hier auf einer Felsenklippe ein kleines Borkenhaus errichten. Hier kannst du dich ausruhen und das einzigartige Panorama auf Schwarzburg genießen. Du reist im Sommer an? Dann erfrische deine müden Beine nach dem steilen Abstieg im einzigartigen Freibad unterhalb des Schlossberges.
Übernachten und Yoga machen im Kulturnaturhof
Let's call it day! Schwarzburg und Umgebung bieten verschiedene Übernachtungsmöglichkeiten. Wenn du etwas mehr Zeit mitbringst, findest du mit dem Kulturnaturhof in Bechstedt ein traumhaftes Urlaubsidyll. In den Sommermonaten finden hier regelmäßig Veranstaltungen oder Yoga-Seminare statt, im Herbst wird in der Hofmosterei das Gold der Streuobstwiesen zu Cidre und Apfelgetränken verarbeitet. Wer nur einen Zwischenstopp einlegt und sich nicht an ein paar Schönheitsmängeln stört, kann sich im Hotel Weisser Hirsch in Schwarzburg ein Zimmer nehmen. Schon Friedrich Ebert gehörte zu den berühmten Gästen des legendären Hotels. Von den Balkonen hat man einen traumhaften Ausblick auf das im Abendlicht schimmernde Schloss Schwarzburg.
Fazit: Für Naturliebhaber ist das Schwarzatal zu jeder Jahreszeit ein absoluter Geheimtipp. Ganz egal, ob du dort zu Fuß, per Rad oder mit dem Auto unterwegs bist, die Gegend bietet für mehrere Tage ausreichend Ausflugsziele in unbelasteter Natur. Sicherlich muss in Punkten Unterkunft und Gastronomie die vergessene Gegend wieder zukunftsfähig gemacht werden. Die Zukunftswerkstatt Schwarzatal e.V. hat mit dem jährlich stattfindenden „Tag der Sommerfrische“ bereits erste wirksame Impulse gesetzt.
Durch mehr Gäste und einem neuen Bewusstsein für diese einzigartige Kulturlandschaft wäre ein weiterer Schritt zur Wiederbelebung getan. Setze diese Region also dringend auf deine Bucket-List und lass' dich verzaubern wie bereits viele Generationen zuvor.
Gastautorin Daniela Pensold arbeitet als Projektleiterin in einem Berliner Verlag. Seit drei Jahren hat sie ihr Herz an Brandenburg verloren und organisiert regelmäßig Radtouren ins Berliner Umland. Ihre Radgeschichten und viele Tourenvorschläge veröffentlicht Sie auf ihrem Blog wecyclebrandenburg.