Surfen ist der schrecklichste Trendsport überhaupt – aber auch schrecklich schön

© Sophie Bellmann

Eventuell wird eine Welle der Empörung über mir zusammenschlagen. Und Leser werden denken, ich schreibe das nur, weil ich maßgeblich untalentiert bin. Oder faul (was sogar stimmt). Weil ich das echte Feeling nicht nachvollziehen kann. Vielleicht erkennt mancher aber auch, dass man das nicht tun muss, nur weil alle es tun. Weil es cool wirken lässt und hip. Und einen Freigeist aus einem macht. Ich rede vom Surfen.

Das ist gerade irgendwie mega in – und keiner weiß wieso. Früher noch Hippies am französischen Atlantik, lebensmüden Extremsportlern in Portugal, gebürtigen Hawaiianern auf Maui, australischen Sunnyboys und Bali-Aussteigern vorbehalten, ist Surfen auf einmal das Ding überhaupt. Meine Freundinnen tun es, Kunden, Geschäftspartner, meine Nachbarin. Mein Freund meint, er müsse endlich mal anfangen und alle sonst spießigen Businessmenschen fahren plötzlich nicht mehr in ein schickes Hotel zum Entspannen, sondern bepackt wie ein Gebirgsesel auf Santorini nach Faro, um dort Wellen reiten zu gehen. Bei den meisten sieht es eher wie hinter einem Brett herschwimmen und sehr viel unter Wasser sein aus; aber das lässt sie nicht müde werden, zu betonen, dass sie jetzt auch in ein Surfcamp fahren.

Bei den meisten sieht es eher wie hinter einem Brett herschwimmen und sehr viel unter Wasser sein aus; aber das lässt sie nicht müde werden, zu betonen, dass sie jetzt auch in ein Surfcamp fahren.
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Wenn jetzt alle surfen, dann probier' ich das eben auch mal

Also gut, wenn jetzt alle, dann ich auch mal. Zwei Freundinnen wollten vergangenen Sommer sowieso nach Pin Sec ins Surfcamp und da bot es sich an, dass ich mitfahre. Ungläubiges Staunen in meinem Freundeskreis: Die meisten wunderten sich, weil Sport bei meinen Präferenzen im Leben auf dem letzten Platz (noch hinter Putzen und Telefonieren) kommt, die anderen weil ich dem Camping eigentlich abgeschworen hatte.

Mit dem Flugzeug ging‘s nach Bordeaux, dann weiter mit dem Wagen nach Pin Sec. Den ganzen Flug über machten wir bei ein Paar Gläschen Rosé Witze über die heißen Surfer und ob wir denen wohl widerstehen könnten. Angekommen wurde mir klar; das mit dem Widerstehen war wirklich, wirklich wichtig. Nicht ausschließlich wegen meines Freundes, sondern weil alle männliche Wesen unter 18 waren, einige sogar unter zwölf. Nachdem ich eines der Holzzelte bezogen hatte, war mir auch klar, wieso alle Surfer blutjung waren. Als erwachsener Mensch passt man in die Dinger definitiv nicht rein. Vielleicht wurden sie auch für Gimli und seine Freunde gebaut. Aber lasst euch gesagt sein, wenn ihr die Person, die mit euch in so einem Ding schläft (ja, da sollen tatsächlich zwei rein) nicht schon vorher gut kanntet, seid ihr nach einer Woche Surfcamp ein Liebespaar, Hanni & Nanni oder einer von euch ist tot.

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An den Strand paddeln ist etwa so anstrengend wie ein Marathon

So ein Tag im Surfcamp läuft immer ziemlich gleich ab. Man steht relativ früh auf, macht Yoga oder watet ins eiskalte Atlantikwasser und frühstückt dann gemeinsam. Kulinarische Versorgung gab es zweimal am Tag – morgens und abends. Kulinarik ist eventuell etwas hoch gegriffen; das Essen war nicht gerade das, was ich mir von einem Urlaub in Frankreich in direkter Nähe zur Rotweinstadt Bordeaux erhoffe, auch wenn sämtliche Anfang 20er schwärmten, dass das Essen hier echt suuuuuper gut sei – vermutlich im Vergleich zu Dosenravioli. Oder im Vergleich zu anderen Surfcamps, denn sollte es da nur Ravioli geben, war unsere Versorgung echt solide. Zwar wiederholten sich die Gerichte nach einer Woche wieder, aber es gab sogar immer eine vegetarische Alternative. Und: Wein und Bier kosteten nur einen Euro, die Sonne schien und der Atlantik war nah – und leider gefühlt minus 1000 Grad.

Das Essen war nicht gerade das, was ich mir von einem Urlaub in Frankreich in direkter Nähe zur Rotweinstadt Bordeaux erhoffe, auch wenn sämtliche Anfang 20er schwärmten, dass das Essen hier echt suuuuuper gut sei – vermutlich im Vergleich zu Dosenravioli.

So ein Neopren hilft an Händen und Füßen nicht; und warm wird es da drin nur, wenn man der vollen Blase irgendwann nachgibt (weil an den Strand paddeln etwa so anstrengend wie ein Marathon ist). Äh, das war es dann auch schon betreffend des Surfens an sich. Kommt man im normalen Wochenrhythmus an, bekommt man eine richtige Anfängereinführung, die sich hauptsächlich an Land abspielt und naja, bei Nicht-Könnern eher selten dämlich als sexy aussieht. Als vehementer Nicht-Sportler ist man nach dem Board-an-den-Strand-schleppen allerdings auch schon so am Ende, dass es zum Surfen gar nicht mehr kommen kann. Zudem sind wir mitten in der Woche angekommen, da waren die anderen Anfänger schon mutig dabei Salzwasser zu schlucken. Mittags musste man sich selbst helfen, was den Hunger anging, da halfen die zu teuren Imbissbuden direkt am Strand – oder dass wir zum Glück über 18 waren und einen Leihwagen hatten. Nachmittags surft man halt noch mehr oder vertreibt sich anders die Zeit – redet mit sehr jungen Menschen über seinen Job, der Ahs und Ohs hervorruft, wie bei Kollegen, wenn man erzählt, man fahre ins Surfcamp. Alles eine Frage der Perspektive.

© Sophie Bellmann

Surfen ist romantisch – irgendwo am indischen Ozean an einsamen Stränden

Das klingt jetzt alles sehr negativ, dabei verstehe ich die naive Art von Romantik, die vom Surfen ausgeht, nur zu gut. Und befürworte Menschen, die Neues ausprobieren wollen. Männer mit sich kräuselndem Haar, deren gestählte Körper sich in jede noch so große Welle legen, das Vergessen von Raum und Zeit, nur man selbst und das Meer, Gitarrenmusik am Lagerfeuer und Zeit mit Menschen verbringen, die genauso ticken. Diese Welt gibt es vermutlich auch – irgendwo im indischen Ozean an einsamen Stränden, wo die Könner sich treffen. Ein Anfänger-Surfcamp hat davon so gar nichts. Alle begeisterten Anfänger schlucken täglich etliche Liter Salzwasser, bekommen picklige Pos vom scheuernden Neo und nach ein paar Tagen kann man auf den steinharten „Matratzen“ nur noch mit zwei Promille schlafen. Danke hiermit an denjenigen, der entschieden hat, Wein zu solch günstigen Preisen anzubieten.

Alle begeisterten Anfänger schlucken täglich etliche Liter Salzwasser, bekommen picklige Pos vom scheuernden Neo und nach ein paar Tagen kann man auf den steinharten „Matratzen“ nur noch mit zwei Promille schlafen.

Natürlich war es schön, morgens von der Sonne geweckt zu werden, dem Duft des nahen Meeres in der Nase und das Wellenrauschen im Ohr. Der Hype ums Surfen und das immer betonte „Ich mach das jetzt auch“ fühlt sich aber eher nach Trend und Dabei-sein-wollen an.

Und es stimmt ja auch. Irgendwie fühlt man sich cool, wenn man erzählen kann, ich war surfen (ob man jetzt wirklich surfen war oder nur im Camp geschlafen hat), Leute reagieren mit Ahhh und Ohhh und mit "Wollte ich auch immer schon mal machen". Plötzlich gehört man zu den Coolen, die im Bus hinten sitzen, alle Türsteher kennen und eben im Sommer auf der Suche nach der besten Welle sind.
Dem ganzen Surf-Dings wohnt so ein Zauber inne wie Skateboarden. Da sind die Männer auch heiße Freigeister, die Frauen dem Klischee nach locker.

Das mag stimmen und es gibt sehr erfolgreiche Menschen in der Szene. Aber eben auch viele, die mit 30 immer noch in derselben Disko hängen, wie wir mit 19 und auch sonst nicht viel tun. Das macht neben dem sportlichen Aspekt die Faszination aus: Der Lifestyle. Aus Büro, Stress und Alltag ausbrechen und plötzlich mal ganz locker und easy sein. Für ‘ne Woche im Surfcamp im Zelt, wo es auch aufregend ist, wenn ein Sturm kommt und man plötzlich Wassergräben ziehen und alles was nicht niet- und nagelfest ist, festhalten muss, damit das Camp danach noch steht. Hier ist es die Gemeinschaft, die es einem warm ums Herz werden lässt, nicht die Decke auf der Couch. Man ist plötzlich wieder 17 und im Feriencamp und hach, alles ist so aufregend. Also: Nichts wie los ins Surfcamp. Ist schrecklich. Aber irgendwie auch schrecklich schön.

© Sophie Bellmann
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