Mein größter Albtraum beim Solo-Reisen ist wahr geworden

© Sonja Koller

Es gibt diesen einen Moment, in dem mir klar wird: Ich bin alleine am anderen Ende der Welt und ich habe ein ganz schön großes Problem. Das ist die Geschichte darüber, wie ich zwei Wochen lang alleine ohne Geld durch Vietnam gereist bin. 

Selten habe ich eine Reise so spontan gebucht wie jene nach Vietnam. Selten wurde ich bei der Ankunft so abgestraft. Nachdem ich mein Visa bereits doppelt bezahlt habe, weil das zuerst beantragte nicht schnell genug bearbeitet wurde, schwöre ich mir nach erfolgreicher Einreise, ab nun zu sparen. Das klappt besser, als erhofft. Denn nach ein paar Stunden in Hanoi fahre ich schon am späten Vormittag weiter in den Norden, um dort eine vier tägige Motorradtour zu starten. Der Bus führt mich und meine Mitreisenden an saftig grünen Reisfeldern vorbei, im Hintergrund türmen sich die ersten Hügel auf und wir nehmen Kurs auf die chinesische Grenze. Idylle pur.

Ha Giang Loop, Sonja Koller, Vientam
© Sonja Koller

Eine Toilette allerdings gibt es, wie so oft in Vietnam, nicht im Bus. Mitten im Nirgendwo machen wir also an einer Raststätte Pinkelpause und essen bei der Gelegenheit gleich etwas. Ich bestelle mir Tofu mit Reis und sehe mein Portmonnaie beim Bezahlen ein letztes Mal. Dass es nicht mehr in meiner Tasche ist, realisiere ich hunderte Kilometer und vier Stunden später, als ich in mein Hostel im Norden des Landes einchecken will.

Das wars dann wohl

Nicht einmal 24 Stunden nach der Einreise habe ich nicht nur eine Menge Bargeld, sondern auch meine EC- und Kreditkarte, meine Krankenkassenkarte, meinen Führerschein und Personalausweis verloren. Ach, und einen verjährten Liebesbrief. Nach Absprache mit meiner Bankberaterin lasse ich beide Karten sperren, damit kein Schaden entsteht – was aber auch bedeutet, dass Apple Pay deaktiviert ist. Immerhin kann ich via App noch auf mein Konto zugreifen und Überweisungen tätigen – Geld abheben ist aber vom Tisch.

So schreibe ich mich zwangsläufig für meine eigene Art von Rejection Therapy ein und komme zu dem Schluss, dass ich andere bitten muss, Geld für mich abzuheben, was ich ihnen danach zurück überweise. Ich weiß: Backpacker*innen sind eine tolle Community und helfen da, wo man in der “normalen” Welt nur hochgezogene Augenbrauen erntet – aber nach Geld fragen ist für mich schon der Gipfel des Unangenehmen.

Fotografie
© Henri Rudolf

Eine Passnummer zu viel

Deswegen beschließe ich in Absprache mit meiner Mama, dass sie mir über Western Union Geld schickt. Ich muss also nur zu einer Filiale des internationalen Transferdienstes gehen, dort meinen Ausweis und eine Nummer zeigen, und bekomme das Geld bar ausgezahlt. So zumindest in der Theorie. Zuerst stellt es sich als überraschend herausfordernd heraus, eine Bank mit dem entsprechenden Dienst ausfindig zu machen. Denn obwohl Western Union online eine Karte mit den Filialen zur Verfügung stellt, sind die Adressen entweder veraltet oder die Google Maps Locations nicht ganz korrekt. 

Nach ungefähr sieben Anläufen bei sieben Banken stolpere ich schließlich erleichtert in eine und glaube schon, mein Schicksal hinter mir gelassen zu haben. Drinnen erklärt man mir aber, dass meine Passnummer neun Stellen habe. Das ist korrekt –  inwiefern das ein Hindernis ist, mein Geld entgegenzunehmen, erschließt sich mir nicht. Man könne, so die Bankberaterin, aber nur Passnummern mit acht Stellen in das System eingeben, um Zugang auf das Geld zu bekommen. Eine Nummer zu viel in meinem übrigens völlig gewöhnlichen österreichischen Pass bedeutet also kein Geld für mich.

Eine ungewöhnliche Art, Freund*innen zu finden

Nachdem sich meine Gedanken schneller im Kreis drehen, als ich bei der Motorradtour unterwegs bin, überwinde ich mich notgedrungen doch und bitte andere Backpacker*innen, Geld für mich abzuheben. Und: Niemand, den ich anspreche, findet meine Bitte seltsam, alle sind hilfsbereit und können sich in meine Lage hineinversetzen. Denn so ziemlich jede*r Backpacker*in hatte im Ausland schon Probleme mit Banken. Was ich dabei auch lerne: Die Transfers klappen eigentlich nur mit Europäer*innen schnell und unproblematisch. Dafür komme ich selbst mit all jenen, die mir nicht helfen können, ins Gespräch und gehe mit jedem einzelnen noch einen Smoothie oder Bier trinken – für die ich übrigens auch nie bezahlen darf.

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© Sonja Koller

Mein Überleben ist also gesichert, trotzdem liegt jetzt noch eine Menge Geld bei den Vietnamesischen Partnern von Western Union. Eine Servicestelle in Österreich könnte man nicht per Mail erreichen, sondern nur anrufen – was für mich aus Vietnam wahrscheinlich mehr kosten würde, als das Geld, um das es geht. Meine Mama übernimmt also für mich in der Heimat und kommt mit der Nachricht zurück, die zu erwarten war: Natürlich muss es auch mit einer neunstelligen Passnummer möglich sein, das Geld abzuheben.

Drei Tage reich

Zwei Wochen und vier Orte später habe ich in Hoi An, einer Stadt in Zentralvietnam, die für maßgeschneiderte Kleidung und Shopping bekannt ist, nochmal die Chance, es bei einer Western Union Filiale zu versuchen – und verlasse sie unter Tränen wieder. Es sind Tränen der Erleichterung, denn diesmal klappt alles ohne Probleme und ich muss mir mein Geld nicht mehr danach einteilen, wann ich das nächste mal den Mut habe, jemanden anzusprechen. Leider fliege ich drei Tage später nach Hause. 

Trotzdem weiß ich jetzt: Wenn ich ohne Geld und Ausweise für zwei Wochen alleine backpacken kann und trotzdem eine schöne Zeit habe, dann gibt es jetzt wohl nichts mehr, was mich aufhalten kann. Durch eine der schlimmsten Ängste von Soloreisenden zu gehen heißt manchmal auch, die Angst danach abgehakt zu haben und befreiter weiterreisen zu können.

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