Komm mit auf eine Wanderung um die stille Kanalinsel Alderney
“Auf Alderney laufen die Uhren langsamer", sagt die freundliche Bootsführerin, die uns in den kleinen Hafen der einzigen Gemeinde der Insel, Saint Anne, fährt. Und tatsächlich habe ich, an Land angekommen, das Gefühl, dass die Uhren hier gar nicht laufen. Totale Stille umgibt uns, nur gebrochen vom Ruf der Basstölpel, die über uns kreisen, und dem Klatschen der Wellen gegen die Rümpfe der Fischerboote.
Es ist April, die Tourismussaison auf den Kanalinseln hat noch nicht richtig begonnen und so haben meine Freund*innen und ich das Glück, diesen verwunschenen Ort gefühlt für uns alleine zu haben. Der Frühling ist die perfekte Jahreszeit für eine Reise nach Alderney, das, wortwörtlich erblüht, vor uns liegt. Wir werden den Coastal Path laufen, einen 16 Kilometer langen Rundweg, der uns einmal um die Insel und durch die Geschichte der Kanalinseln führt.
Der Ausgangsort unserer Wanderung ist Saint Anne, die Hauptstadt und einzige Gemeinde auf Alderney. Vom Hafen aus laufen wir den Hügel hinauf in den verschlafenen kleinen Ort mit einer Kirche, einem Museum und einer kurzen Einkaufsstraße. Hier findest du fast alle Läden und Restaurants der Insel, Tür an Tür, nur dass diese heute alle geschlossen haben, was unseren Eindruck, alleine auf der Insel zu sein, verstärkt.
Wir hätten unsere Wanderung auch an der schroffen Westküste beginnen können, aber da wir erstmal einen Überblick gewinnen wollten, geht es weiter bergauf aus dem Ort heraus zum Woodland Trail. Da die Kanalinseln vom Golfstrom beeinflusst werden, hat sich auf Alderney eine ganz besondere Fauna entwickelt. So wachsen einige Pflanzen mit so schönen Namen wie See-Lavendel, Sand-Krokus oder auch schlankes Vogelfuß-Kleeblatt nur hier auf den Kanalinseln.
Auch die Tierwelt der kleinen Kanalinseln ist etwas Besonderes, diese Pferde vielleicht ausgenommen. Ein winziger Bewohner, den du nur hier antreffen kannst, ist der blonde Igel. Allerdings brauchst du viel Glück, um ihn zu erwischen. Viel wahrscheinlicher ist, dass du dem Tier begegnest, dem die Inselbewohner*innen ihren Spitznamen verdanken: lapins, französisch für Kaninchen.
Ursprünglich gehörten die Kanalinseln zum Herzogtum Normandie, aber nach viel kriegerischem Hin und Her zwischen England und Frankreich sind sie nun seit über einem Jahrtausend in Besitz der englischen Krone. Da sie aber viel näher an der französischen Küste liegen – Alderney liegt auf der Höhe der Stadt Le Hague – hat sich der normannische und der britische Stil hier charmant verbunden. Das merkst du heute noch in der Architektur, der Lebensart und auch der Küche auf Alderney.
Die Deutschen und der Zweite Weltkrieg haben auch vor den Kanalinseln nicht Halt gemacht. 1940 wurde Alderney von der Deutschen Wehrmacht besetzt, die gesamte Bevölkerung der Insel und auch ihre Rinder wurden zum Glück zuvor nach England beziehungsweise nach Guernsey evakuiert. Die Nazis haben mehrere Arbeits- sowie ein Konzentrationslager auf der jetzt so friedlichen Insel aufgebaut, mit deren Zwangsarbeitern die britischen Festungsanlagen zu Bunkern um- und ausgebaut wurden. Überall auf der Insel stolperst du über Überreste dieser Geschichte.
Bei der Wanderung über die Insel kannst du ihre schroffe Schönheit und üppige Natur am besten bewundern. Der Weg führt über die Hügel im Landesinneren, zur Steilküste mit dem endlosen Blick auf das Meer und hinab zu Stränden mit Panzermauern, alten französischen Festungen oder auch einfach nur wunderschönem Sand und blauem Wasser. Wenn du dich zur Abkühlung in die Wellen schmeißen möchtest: Achtung, wärmer als 16 Grad Celsius ist es hier nie.
Wenn dir an der Westspitze der Insel die Kraft für den Rückweg ausgehen sollte, kannst du eine weitere Besonderheit von Alderney nutzen: Hier fährt der einzige Zug der Kanalinseln. Die tapfere Diesellok Elizabeth zieht zwei Londoner U-Bahnwaggons der 1950er-Jahre über die Insel und bringt dich innerhalb von nur 15 Minuten zurück zum Hafen. Dort angekommen empfehle ich dir ein Guinness auf der Terrasse des Braye Beach Hotels mit Blick über die ganze Bucht zu genießen.