Wie ich in Italien von der Polizei eine private Stadtführung bekam
von Lena Vanessa Müssig
Apulien, der Absatz des Stiefels. Es war diese Einfachheit der südlichen Region Italiens, die es mir so angetan hatte. Es schien mir, als würde in Apulien das Essentielle in geballter Form aufeinander treffen, was das süße Nichtstun so süß macht. Was braucht man schon mehr zum Glücklichsein als Sommer, ein gutes Brot, ein paar Oliven, ein Gläschen Wein oder auch zwei und ein schönes Plätzchen, an dem das berühmte Dolcefarniente zur Höchstform auflaufen kann?
Völlig überarbeitet und nach Urlaub dürstend wünschte ich mir jedenfalls nichts mehr. Nur Strand, Sonne, gebräunte Haut und von der Sonne aufgehellte Haare. Abends die Bikinistreifen überprüfen, Salz und Sand unter der Dusche von der Haut waschen. Den perfekten Ort für meinen Urlaubsplan fand ich in einer wunderschönen Masseria vor den Toren Fasanos. Das ländliche Anwesen lag mitten in einem dieser unzähligen, nicht enden wollenden Olivenhaine, die Apuliens Landschaft prägen. Am Horizont das türkis glitzernde Meer.
Nach einem Besuch in Polignano a Mare mit ihrer weltberühmten Bucht Cala Porto hatte ich die Idee, eine Bootstour zu machen. „Lass’ uns nach einem Fischer suchen, der uns mit seinem Boot rausfährt“, stachelte ich meinen Freund an. Wir hatten beide keine Lust, eng an eng mit anderen Touristen die Standart-Tour mit Party-Musik an Bord mitzumachen. Ich war auf die Idee mit dem Fischer gekommen, weil das in Kalabrien irgendwie so ein Ding war. Dort schlängelten sich am Strand von Tropea immer zwei ältere Fischer durch die ausgebreiteten Strandhandtücher und boten kleine Ausfahrten mit ihren Booten an. An entlegene Buchten, die man nur vom Wasser aus erreichen könne und die sie als „più bella“ anpriesen. Wer soll besser über die schönsten Buchten der Welt Bescheid wissen als ein alter Fischer, der sein Leben lang auf seinem Kahn hinaus fährt?
Wer soll besser über die schönsten Buchten der Welt Bescheid wissen als ein alter Fischer, der sein Leben lang auf seinem Kahn hinaus fährt?
Da sitzt man dann im Boot des Fischers, blickt in das runzelige Gesicht, in die freundlichen Augen, auf das weiße Rippshirt, auf die auf der braunen Haut liegende Goldkette, blickt hinaus aufs Meer und lauscht dem Singsang des Fischers. Wenn man dann in „der schönsten Bucht der Welt“ ankommt, man vom Boot ins glasklare Wasser springt und der Himmel sich langsam ins Pastell des Abends verfärbt, untertaucht und wieder auftaucht und nur den alten Fischer zufrieden aufs Meer und auf die untergehende Sonne hinausblicken sieht, dann fehlen einem einfach die Worte. Dann ist das ein bisschen zu gut, ein bisschen zu cheesy, ein bisschen zu perfekt um wahr zu sein.
Daraus wurde nichts und an den Stränden Apuliens schlichen leider keine älteren Fischer umher, die private Bootstouren anboten. Also machten wir uns auf die Suche nach einem Touri-Boot – oder einem Fischer. Am Hafen von Monopoli fanden wir unser „Opfer“. Der alte Mann sortierte gerade seine Netze und verstaute seinen Fang in der Kühlbox. Weil er so gar nicht wusste, was wir von ihm wollten, tippte ich schnell bei Google Translate einen Satz ein und hielt ihm das Smartphone vor sein sonnengegerbtes Gesicht. Von meiner Idee, uns auf eine kleine Privat-Tour mit seinem Boot zu nehmen, hielt er nichts. Er wolle zu seiner Frau, den Fisch für das Mittagessen vorbereiten.
Aber er ließ es sich nicht nehmen, uns persönlich zu dem Touristenboot zu fahren. Da saßen wir nun: In einem völlig verbeulten, rostigen kleinen Auto ohne Rückbank. Zu zweit auf dem Vordersitz, ich auf dem Schoß meines Liebsten, hinten im Auto die gekühlten Fische und neben uns der laut lachende und fröhliche Fischer. Das war dann wieder so ein Moment, der ganz nebenbei zum Highlight des Urlaubs wird. Weil man einfach mal spontan zusammengepfercht wie Sardellen in einem winzig kleinen Auto eines Fremden landet, kein Wort, aber doch irgendwie alles versteht.
2 Polizisten, 1 Stadtführung
Das sollte nicht unsere letzte Privateskorte bleiben. Am letzten Tag der Reise wollte ich in Bari, der Hauptstadt Apuliens, frische Pasta bei den Nudelfrauen kaufen, die ihre Orecchiette, eine regionale Nudelspezialität, auf der Straße vor ihren Wohnungen zubereiten. Weil wir in der verwinkelten Altstadt unfreiwillig dreimal im Kreis gelaufen waren (Touri-Klassiker), fragte ich einen Polizisten nach dem Weg. Er pfiff seinen Kollegen zu sich und forderte uns auf, ihm uns zu folgen. Die beiden wollten uns persönlich zu dem Nudelfrauen bringen.
In einer Seelenruhe schlenderte sie mit uns durch die Gassen, zeigten uns auf dem Weg prachtvolle Kathedralen und Sehenswürdigkeiten, bestanden darauf, dass wir eine Kirche von innen anschauen, begrüßten auf dem Weg den ein oder anderen Bekannten, bevor wir dann einen mittelalterlichen Bogen durchquerten und plötzlich vor den Frauen standen, die an ihren kleinen Tischen auf der Straße saßen und kunstvolle Nudeln formten.
Die Türen zu ihren ebenerdigen Wohnungen standen offen, von drinnen drang das Dröhnen von Fernsehern und Familienleben auf die Straße. Die Polizisten begrüßten die Frauen – natürlich kannte jeder jeden. Wir verabschiedeten uns händeschüttelnd von unseren uniformierten Stadtführern, kauften kiloweise frische Pasta und beobachteten die Nudelfrauen noch eine Weile bei ihrer Arbeit.
Wie heißt es so schön? Italians do it better.
Redaktion