So ist es wirklich: Mit dem 9-Euro-Ticket von Berlin nach Sylt

© Sonja Koller

Das 9-Euro-Ticket ist in aller Munde. Ein Ort in Deutschland aber wird besonders häufig in Zusammenhang mit dem Ticket genannt: Sylt. Erst recht, nachdem Touristiker*innen und Bewohner*innen der Insel öffentlich gemacht haben, wie sehr sie wegen des Tickets einen Ansturm auf die beliebte Nordseeinsel fürchten. Wir wollten ausprobieren, wie kompliziert oder einfach es tatsächlich ist, mit dem 9-Euro-Ticket – und damit nur in Regionalbahnen – von Berlin nach Sylt zu fahren.

Voll, voller, Regio nach Schwerin

Meine Route führt mich von Berlin aus als erstes nach Schwerin. Schon am Hauptbahnhof ahne ich schlimmes. Das Gleis, auf dem ich auf den Regio nach Schwerin warte, ist rappelvoll. Und natürlich: Als der Zug einfährt, wird klar, dass an diesem Dienstagmorgen scheinbar auch wirklich alle hier nach Schwerin wollen. Ich ergattere einen Sitzplatz im oberen Teil des Zuges und versuche auf dem Weg nach Hamburg für zweieinhalb Stunden einer Kaffeepfütze unter meinen Füßen auszuweichen, die die heitere Mittfünfziger-Frauentruppe vor mir fabriziert hat. Neben mir: ein älterer Herr, der den Fahrplan mit seiner kompliziert aussehenden Route auf der Fahrt immer wieder nervös auffaltet und betrachtet. Auf der anderen Seite: ein Mann im Hemd, wahrscheinlich Pendler. Hier, im RE2, prallen Welten aufeinander. Im unteren Teil des Zuges stapelt sich eine Schulklasse neben einige Fahrrädern, ein Durchkommen zur Toilette ist undenkbar.

9-Euro-Ticket Sylt
© Sonja Koller

Es kommt, wie es kommen muss, und wir haben zehn Minuten Verspätung. Zu viel für meinen Anschluss nach Hamburg, den ich am Hauptbahnhof Schwerin erreichen will. Doch dann kommt die Durchsage im Zug:, Alle Fahrgäste, die nach Hamburg wollen, sollen schon Schwerin Süd umsteigen, da der Anschlusszug nach Hamburg auch hier hält. Ziemlich smart reagiert, finde ich. Auf dem kleinen Vorstadtbahnhof, der aus nur zwei bewachsenen Gleisen besteht, findet eine Völkerwanderung statt und Hunderte Menschen wechseln in Regio Nummer zwei nach Hamburg.

Verspätungsbingo

Ich ergattere sogar Sitzplatz in diesem heillos überfüllten Zug. So hat mein Schweiß etwas Zeit zu trocknen und ich düse in eineinhalb Stunden nach Hamburg. Aber auch bei der Einfahrt in die Hansestadt haben wir die obligatorische Viertelstunde Verspätung auf dem Buckel und so klappt es wegen der verkürzten Umstiegszeit leider nicht mit dem heiß ersehnten Fischbrötchen für mich. Von hier aus gibt es übrigens zwei Wege, um nach Sylt zu kommen. Von Hamburg-Altona fährt ein Direktzug nach Westerland. Wer also von Hamburg aus startet, kann direkt in dreieinhalb Stunden nach Sylt fahren. Wegen der Verspätung hätte ich den Anschluss bei meiner Reise aber nicht mehr erwischt, deswegen lege ich nach Hamburg noch einen Zwischenstopp in Itzehoe ein.

Der Regio, mit dem ich für eine Stunde in die kleine Stadt in Schleswig-Holstein bummele, ist so klein, dass ich mich fühle, als säße ich in einer Straßenbahn, die besonders naturbelassenes Gelände durchfährt. Etwas leerer wird es in diesem Regio auch erstmals, Itzehoe ist an diesem Dienstagmittag wohl kein allzu beliebtes Reiseziel.

Hamburg Hauptbahnhof
© Sonja Koller

Entdeckungstour am Bahnhof Itzehoe

Drei Züge und bis jetzt hat alles geklappt. Aber als wir in Itzehoe einfahren, meine ich, den ersten richtigen Rückschlag durch die Lautsprecheranlage zu hören. Der Zug nach Westerland hat 90 Minuten Verspätung. Bei mir geht der Resignationsmodus an, es musste ja so kommen. Nachdem ich die Schockstarre überwunden habe, wende ich mich jetzt Wichtigerem zu: Auf der Suche nach einer Toilette renne ich durch den ganzen Bahnhof. Mittlerweile wäre es nämlich schon an der Zeit, auch im letzten Zug waren alle Kabinen gesperrt. Ich entdecke zwar eine, muss dafür aber bezahlen und habe keine Münzen mehr dabei. Auch die Suche nach einer Bäckerei oder einem Restaurant bleibt erfolglos. Weil meine Umstiegszeiten wegen Verspätungen immer verkürzt wurden, blieb mir auf der Reise bisher keine Zeit, Essen zu kaufen und meine Vorräte aus Berlin erschöpfen sich langsam.

Itzehoe zeigt sich bei meinem Besuch grau, es regnet und windet. Ich schaue mich nochmal nach alternativen Verbindungen um, und finde nichts. Auf Google Maps wird meine ursprüngliche Verbindung immer noch angezeigt. Aktualisiert sich das nicht? Dann verstehe ich: Der Zug, der 90 Minuten Verspätung hat, ist nicht etwa der, den ich nehmen wollte. Es handelt sich um den Regio, der schon vor einer Stunde nach Westerland hätte fahren sollen. Selten war ich so glücklich darüber, am Gleis zu sehen, dass mein Zug um nur fünf Minuten verspätet ist.

9-Euro-Ticket Sylt
© Sonja Koller

Ich tuckere nach Westerland

Es kommt noch besser: Während ich mich nach dem Vormittag darauf eingestellt hatte, im Regio nach Westerland zu stehen, ist dieser Zug fast leer. Zwei Stunden lang tuckere ich von Itzehoe auf die Insel und kann mich endlich richtig entspannen und dabei zusehen, wie Schleswig-Holstein an mir vorbeizieht. Immer wieder entdecke ich dabei Kuh- und Schafherden und beobachte, wie die Landschaft langsam immer mehr nach Nordsee aussieht. Endlich ist Urlaubsstimmung angesagt, ich drehe die Musik meiner Kopfhörer hoch und grinse den Rindern draußen entgegen. Besonders die letzten Meter auf der Fahrt nach Sylt begeistern mich. Egal, von welcher Seite des Zuges ich aus dem Fenster schaue, ich sehe nur Wasser. Ziemlich cool, diese Überfahrt auf die Insel.

Deutlich entspannter als erwartet steige ich auf Sylt aus. Fast acht Stunden hat die Fahrt gedauert und obwohl ich alle meine Anschlüsse erreicht habe, musste ich bei jedem einzelnen zittern. Trotzdem komme ich in Westerland am Ende ohne Verspätung an. Vielleicht liegt es daran, dass ich sowieso riesengroßer Zug-Fan bin, die Fahrt habe ich aber, trotz Turbulenzen, gar nicht mal so anstrengend gefunden. Obwohl es in den Zügen besonders anfangs voll war, ging es relativ ruhig zu und ich habe auf der Fahrt Orte in Norddeutschland in Ruhe betrachten können, an denen ich sonst im ICE nur schnell vorbeigezischt wäre.

9-Euro-Ticket Sylt
© Sonja Koller

9-Euro-Survival-Tipps

Bei einem 9-Euro-Abenteuer gilt es einiges zu beachten, um nicht noch urlaubsreifer als vor der Anreise aus dem Zug zu purzeln: Weil es in den meisten Regios keine Steckdosen gibt, nimm am besten eine Powerbank mit, um dein Handy zu laden. Auch Proviant solltest du genügend einstecken. Mich haben Manner Waffeln, die ich in meinem Rucksack gefunden habe, durch die letzten zwei Züge gebracht. Aber: Am besten trinkst du nicht allzu viel oder nimmst die Fahrt als Chance, deine Blase zu trainieren. Die Toilettensituation war, zumindest auf meiner Reise, prekär.

Nordfriesischer Lagebericht

Auf Sylt angekommen, will ich mir natürlich zuerst einen Überblick über die Lage verschaffen. War die Angst vor Menschenmassen begründet? Herausfinden will ich das zuerst in Westerland, dem größten Ort der Insel. Hier ist wirklich ganz schön was los. Um den Bahnhof und auf den großen Kreuzungen und Einkaufsstraßen sitzen einige kleinere Gruppen von Punks oder betrunkene Jugendlichen, die einen Sommerurlaub auf Sylt sonst sicherlich nicht regelmäßig im Kalender stehen haben. Aber selbst hier, in Westerland, machen diese Gruppen nur einen winzigen Teil der Besucher*innen aus. Die meisten wirken so, als würden sie der „typischen Klientel“ von Sylt entsprechen.

Ich will aber noch mehr von der Insel sehen und vor allem das 9-Euro-Ticket voll ausnutzen. Deshalb steige ich in Westerland in einen der Busse, die mich weiter in den Süden der Insel bringen. In den vier Bussen, die auf Sylt fahren, gilt das 9-Euro-Ticket nämlich auch. Das lohnt sich in diesem Fall besonders, denn selbst ein Tagesticket kostet auf der Insel normalerweise zehn Euro. Etwa zehn Minuten lang fahre ich mit dem Bus von Westerland aus in den Süden und steige dann in Rantum aus. Der Ort ist dafür bekannt, besonders schmal zu sein – vom Wasser ist man hier nie weit entfernt und so geht es auch für mich erstmal an den Strand.

9-Euro-Ticket Sylt
© Sonja Koller

Keine Punks im Süden

Hier, nur wenige Fahrminuten von Westerland entfernt, fällt auf, wie leer es ist. Am Strand und auf den Dünen ist kaum jemand unterwegs. Die Menschen, denen ich begegne, sind entweder über 60 Jahre alt oder als Familie hier. Niemand wirkt so, als würde er hier Unruhe stiften wollen. Vielleicht aber ist Rantum da eine Ausnahme? Ich such die Insel noch weiter nach Menschenmassen ab und fahre mit dem Bus 20 Minuten weiter in den Süden und nach Hörnum.

Auch an der Südspitze der Insel ist wirklich wenig los und ich habe die Dünen und vor allem den Strand fast für mich alleine. Wer nach Sylt kommt, um dort bei langen Strandspaziergängen zur Ruhe zu kommen, kann das auch weiterhin tun. Zur vollen Partyinsel ist Sylt also (bisher) keinesfalls geworden.

Sylt
© Sonja Koller
Sylt
© Sonja Koller

Urlaub auf Sylt

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