Michaela Egarter überwindet ihre Höhenangst und wird Südtirols erste Bergführerin
Lockige Haare und ein breites Grinsen im Gesicht, im Hintergrund die schneeweißen Gipfel Südtirols – ein Anblick, der sicher vielen Südtiroler*innen vertraut ist. Denn wer im Alto Adige viel in den Bergen unterwegs ist, kennt meist auch Michaela Egarter. Michi, wie sie eigentlich von allen genannt wird, ist nämlich die erste Südtirolerin, die sich zur Bergführerin ausbilden ließ. Dass gerade sie einmal Bergführerin wird, hätte früher wahrscheinlich niemand gedacht. Warum? Anders als viele Bergführer*innen, die schon mit Klettergurten und Schutzhelm auf die Welt kommen und bereits in jungen Jahren am Kletterseil abhängen, kann Michaela auf keine Bergsteiger-Kindheit zurückblicken.
"Als Tochter einer Bauernfamilie war ich zwar schon immer sehr naturverbunden und häufig draußen im Freien, aber zum Bergsteigen und Gipfelstürmen, war keine Zeit. Es gab einfach immer viel zu viel zu tun." Und noch etwas blockiert ihren Aufstieg: Michi ist nämlich nicht schwindelfrei. "Ich konnte früher nicht einmal von meinem Balkon runterschauen, ohne dass mir schwindlig wurde", erzählt sie und lacht.
Von der Krankenschwester zur erfahrenen Bergführerin
Doch ihre Höhenangst hält Michaela nicht auf und Stück für Stück hangelt sie sich wortwörtlich nach oben zu ihrem Ziel. Für jedes Lebensjahrzehnt sucht sie sich ein neues Abenteuer aus. Mit 19 entdeckt sie auf Skitouren ihre Liebe zum Berg, doch es braucht genau zehn Jahre bis sie zum ersten Mal das Klettern ausprobiert: "Zu Beginn war es wirklich ein innerer Kampf. Am Kamin zu klettern, also in der Grätsche zwischen zwei Steilwänden zu stehen, unter dir ist nichts und du arbeitest dich ganz langsam vor, das war für mich eine riesige Herausforderung und ich musste mir selbst immer gut zureden." Viele aufregende Klettertouren und 10 Jahre später hatte das Kletterfieber sie dann wirklich erwischt und sie nimmt die nächste Challenge in Angriff: "Als ich 39 Jahre alt war, habe ich mich entschlossen, meinen Job als Krankenpflegerin zu kündigen und mich zur Bergführerin ausbilden zu lassen."
Die Ausbildung dauert drei Jahre und zugelassen wird nur, wer einen ausführlichen Tourenbericht nachweisen kann und die dreitägige Aufnahmeprüfung besteht. "An einem Tag wird das Skifahren auf der Piste und im freien Gelände beurteilt. Da musst du dann auch eine eigene Spur anlegen. Am nächsten Tag geht es zum Steil-Eisklettern am gefrorenen Wasserfall und am dritten Tag werden deine Kletterskills im alpinen Gelände überprüft", erklärt Michaela. Sie besteht mit Bravour und seither gehören diese von ihr einst so gefürchteten Momente zu ihrem Alltag, wenn sie Kletterinteressierte, darunter mal gewiefte Bergprofis und mal eher ängstliche Gäste jeden Alters, am Klettersteig entlang zum Gipfel führt. 19, 29, 39 – und was kommt nun in ein paar Jahren, wenn sie 49 Jahre alt wird? "Da bin ich selbst neugierig", sagt Michi und lacht, "aber ich bin sicher, ich finde schon etwas."
Höhenangst muss kein Hindernis am Berg sein
Paradoxerweise ist es genau dieses anfängliche Hindernis, das sie heute zu einer Expertin am Berg und einer hervorragenden Bergführerin macht: "Da ich mich selbst ganz langsam ans Klettern rantasten musste, kann ich dieses überwältigende Gefühl der Höhenangst sehr gut nachempfinden und mich leicht darauf einstellen, wenn meine Gäste sich nicht wohl fühlen, überfordert sind oder unsicher werden", erklärt Michaela. "So kann ich Vertrauen aufbauen und gerade das ist bei einem Abenteuer am Berg unerlässlich." Denn eine alpine Klettertour an der Felswand unterscheidet sich von einem Ausflug in den Klettergarten. Hier musst du dich selbst sichern und kannst dich nicht auf vorgefertigte Routen verlassen – auf deine*n Bergführer*in allerdings schon.
Der Einsatz am Berg verlangt ganz andere Expertisen ab – und Einfühlungsvermögen ist vielleicht die wichtigste Eigenschaft am Berg. Nicht nur das Seil darf nie reißen, auch die Kommunikation und der Austausch mit den Gästen muss während der gesamten Zeit am Berg bestehen.
Ein*e Bergführer*in muss also nicht nur besonders gut klettern, Ski fahren und abseilen können. Der Einsatz am Berg verlangt ganz andere Expertisen ab – und Einfühlungsvermögen ist vielleicht die wichtigste Eigenschaft am Berg. Nicht nur das Seil darf nie reißen, auch die Kommunikation und der Austausch mit den Gästen muss während der gesamten Zeit am Berg bestehen. "Ich kann hundertmal auf den selben Berg steigen, aber die Tour ist immer eine andere, weil die Gäste ganz unterschiedliche Erfahrungen mitbringen und ich immer wieder auf neue Charaktere treffe. Und dabei ist immer das Erlebnis für den Gast, das zählt", so Michi.
Ihren Gästen rät sie deshalb immer wieder, sich ganz entspannt und ohne große Erwartungen auf eine Klettertour einzulassen, um sich selbst nicht unter Druck zu setzen: "Wenn ich mit Gästen unterwegs bin, versuche ich diese immer möglichst stark mit einzubinden. Wir schauen beispielsweise gemeinsam einen Lawinenlagebericht an und analysieren, was die gekennzeichnete Gefahrenstufe nun bedeutet. So können sie nachvollziehen, wenn ich auch kurz vor dem Gipfel noch entscheide, umzudrehen. Mir ist es sehr wichtig, dass meine Gäste möglichst viel lernen, wenn wir unterwegs sind, und den Berg verstehen können", erklärt sie.
Höhenangst muss also noch lange kein KO-Kriterium für eine abenteuerliche Klettertour am Berg sein. "Am Wichtigsten ist mir immer, dass meine Gäste entspannen können und wirklich Spaß haben. Deswegen suche ich leichte Routen aus, die zwar auch ein bisschen herausfordern, aber einen nicht in der Angst lähmen. Denn nur wenn du trotz all deiner Aufregung und Überwindung Spaß hast, dann willst du es wieder und wieder ausprobieren", so Michi.
Wenn du nun Lust bekommen hast und selbst gerne einmal mit Michaela Egarter in den Südtiroler Bergen unterwegs sein willst, findest du hier alle wichtigen Infos.