Zwischen alten Mythen und unberührter Landschaft – Das Buch "Über allem Licht" erzählt von der Schönheit Griechenlands

© Katarina van den Wouwer und Dennis Freischlad

Griechenland. Land der Mythen, der Philosophie, des einfachen, schönen Lebens. Autor Dennis Freischlad möchte fernab von Finanz- und Wirtschaftskrisen und politischer Machtkämpfe das Land, das für seine reiche Geschichte auf der ganzen Welt verehrt wird, kennenlernen und reist dafür an die sagenumwobenen Orte wie den Peloponnes, nach Delphi und zu den Kykladen. Ihr lest hier exklusiv einen Ausschnitt aus seinem Buch "Über allem Licht – Eine Reise ins griechische Leben", das am 9. Juli 2019 erschienen ist.

Auszug auf "Über allem Licht – Eine Reise is griechische Leben"

Nach vier Stockwerken stehe ich oben an Deck.
Vor uns liegt der große Anthrazitteppich und atmet. Die ersten flachen Hügel tauchen aus der Dunkelheit auf, Silhouetten von Land und Ländereien, messerscharf aus dem Morgen geschnitten. Alles ist nass von Wind und Tau.
Wer noch einen Schal dabei hat, wickelt sich darin ein. Wir sind zu dritt. Eine junge Frau geht mit ihrem Hund spazieren, sucht sich eine trockene Stelle und schneidet sich Tomaten aufs Brot. Ein Mann, garantiert kein Matrose, Techniker oder sonstiger Mitarbeiter des Schiffes, klopft an eine Scheibe, auf der steht: Zutritt nur für Personal. Er kaut eine alte Zigarre herunter, die schon lange erloschen ist, und klopft und klopft und hat keine Lust, aufzuhören mit seinem Klopfen.

Der andere Mann steht neben mir, streckt den Finger über die Reling und sagt: "Das ist Albanien." Dann schiebt er seinen Finger ein paar Zentimeter nach rechts. "Und das, mein Freund, das ist Griechenland."

Viele Stunden später steigt aus der höchsten Stunde des Tages eine Ansammlung von grauen Steinquadern auf. O Patras, vom Hügel ausgespuckt und ans Meer heruntergerollt, du bist unser Hafen! Lisa und ich verabschieden uns von den Bekanntschaften, die wir an Bord gemacht haben, und befreien Elber, Lisas alten und treuen Passat, aus dem Autodeck. Wir gehen an Land. Das Erste, was ich sehe, ist ein Kerl, der seine Harley Davidson auf dem Mittelstreifen der Straße entlangschiebt. Rechterhand liegt ein verrostetes Schiff, alte Basketballplätze, Schrotthändler und Cafés und die üblichen Bars und Buden, helle Insignien der griechischen Vorortswirtschaft, die keinen angehen und niemanden interessieren. Sobald wir die letzten Ausläufer der Stadt hinter uns gelassen haben und anfangen, die zerstreuten Häuser und Dörfer zu passieren, steigt das Land in unser Auto.

© Katarina van den Wouwer und Dennis Freischlad

Der erste Wurf gelber Zitronen.
Der Bambus mit seinen schlanken Fingern.
Das Artischockenherz, umrankt von Hornklee, Narzisse und
Flieder.

Wir halten die Nasen aus den Fenstern und unter die Sonne, wir wissen, dass wir nun angekommen sind, genau so sollte es immer schon sein, genau so hatten wir das letzte Mal Abschied genommen von Griechenland, von Bergen, der Sonne, von Insel und Meer. Wir fahren weiter Richtung Süden und durchqueren die Peloponnes. Unser Ziel: die einsame, die wilde Mani.

Die Bar "No Name", verlassen und geschlossen. Der "Club Envy", verlassen und geschlossen. Ein Mann schafft es, beim Überqueren der Straße zweimal die Hände in die Hosentaschen zu stecken. Wo er ankommt, häutet sich der Rosmarin und streckt sich der Riesenfenchel in den weißen Oleander. Lisa sagt: "Alles, was schön ist, passiert hier langsam."

Alles, was schön ist, passiert hier langsam.

Wir fahren, bis wir die Berge erreichen und die Erde uns mitnimmt unter den Himmel. Endlich! Auf diesen Moment habe ich lange gewartet. Mein Finger lag bereits so oft auf den Landkarten und hatte seinen Namen berührt. Nun lag es uns zu Füßen, das Taygetos-Gebirge mit seinen graugrünen Buckeln und schweren, tausend Meter in die Höhe geschossenen Geheimnissen, die man, wenn überhaupt, mit den Feigenbäumen oder den Toten teilt. Früher, zu den Blütezeiten des benachbarten Spartas, warf man die Kranken und Schwachen unter den Neugeborenen in die namenlosen Schluchten dieser Berge. Hier würden sie schnell sterben. Oder hart und mächtig werden, falls sie überlebten.

Wir spüren es sofort, sobald ich Elber durch die ersten Serpentinen navigiere: Überall auf der Welt besitzen Bergbewohner diesen eigenen Reifegrad der Seele, einen gänzlich anderen Stolz als die Bewohner des Flachlands. Die Abgeschiedenheit knüpft sie vertrauter an Licht und Schatten, ihr Umgang mit dem allgegenwärtigen, okkulten Gehalt der Natur lässt sie drastisch werden bis hin zur Orthodoxie. Die Nähe zum Himmel lehrt Gottesfürchtigkeit bis ins Mark. Hier weiß man noch um Tausenderlei Gnome und ginsterne Gestalten, die unter dem Farn hocken und einen in Ruhe lassen, bis man sie stört, Däumlinge von der Größe noch ungeborener Wälder, die auf keiner Karte zu finden sind und doch diese Berge regieren. Geburt und Tod sind so beiläufig wie Wolkenfelder. Liebe und Hass, Freundschaft und Tod – alles schön und gut, aber der Berg steht ewig und denkt nicht mehr an die Kräfte, die seine Gipfel unter den Himmel geschossen haben. Wer also will sich sorgen um das Brimborium der Welt, um den Klingelschönbeutel, der automatisch geleert wird, wenn einem ein für allemal der Atem ausgeht.

© Katarina van den Wouwer und Dennis Freischlad
© Katarina van den Wouwer und Dennis Freischlad

Ja, diese in dunkle Kleider und stumme Blicke gehüllten Menschen: Sturmerprobt und egal, ob satt oder hungrig, sind sie meist keiner weltlichen Herrschaft untertan, kein Kaiser oder Staat, keine Uniform hat hier auf lange Zeit das Sagen. Das gilt besonders für das Land hinter diesen Bergen. Ohne den Schutz des Taygetos, der eine natürliche Abschirmung gegen die übrige Welt ist, wäre die Mani nur ein weiteres Stück Griechenland. Nun war es aber schon immer so: In der Mani kann man schlecht gefunden – und somit auch schlecht belangt werden.

Lisa spürt, dass ihr Zuhause naht. Sie rutscht auf dem Sitz herum und erzählt von Joannis, ihrem Olivenmüller. Sie erzählt, wie ihre Liebe begann, erzählt von dem Dorf, das uns empfangen wird, von den gedeckten Tischen und den großen Festlichkeiten. Sie erzählt von Joannis’ Mutter, die, wenn das Fest zu wild und ihr Herz zu groß wird, die Schränke aufreißt und mit Tellern um sich schmeißt. Je lauter der Tanz, desto größer der Scherbenhaufen. Es sei reines Glück, sagt Lisa, das da entsteht.

"Über allem Licht – Eine Reise is griechische Leben" von Dennis Freischlad ist am 9. Juli 2019 im DuMont Reiseverlag erschienen.

© Dumont Verlag
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