Warum sich das Reisen mit dem Nachtzug viel mehr nach Abenteuer anfühlt
Ja, man kann nicht alles richtig machen und angesichts der Klimakrise reichen individuelle Entscheidungen ohnehin nicht aus, um etwas zu verändern. Trotzdem plagte mich nach meiner letzten Flugreise vor ein paar Monaten ein schlechtes Gewissen: War es wirklich notwendig, meinen ökologischen Fußabdruck so zu vergrößern? Innerhalb Europas lässt es sich schließlich auch anders reisen. Ich nahm mir deshalb vor, bei meiner nächsten Reise auf jeden Fall aufs Flugzeug zu verzichten und stattdessen den Nachtzug zu nehmen.
Wer über Nacht reist, gewinnt einen kompletten Tag Zeit
Es ist nicht so, als sei das Reisen mit dem Zug in Europa für mich eine neue Erfahrung: Ich habe vor ein paar Jahren eine InterRail-Reise gemacht, war also fünf Wochen lang von Frankreich über Italien bis nach Tschechien unterwegs, getragen von den mehr oder weniger gut ausgebauten Schienennetzen der jeweiligen Länder. Der Nachtzug war in dieser Zeit mein bester Freund, denn was gibt es bei einem knappen Backpacking-Budget besseres, als sich während der Weiterreise die Kosten für eine Unterkunft zu sparen? Wer auf dem Weg von Rom nach Venedig schläft, verzichtet in der Hauptsaison auf ein überteuertes Hostelbett – und gewinnt noch dazu einen kompletten Tag Zeit für neue Abenteuer.
Abenteuer ist ein gutes Stichwort. Letzte Woche wurde ich wieder daran erinnert, wie viel aufregender das Reisen mit dem Nachtzug im Vergleich zum Flugzeug ist. Das Flugzeug bringt uns in kürzester Zeit von einem Ort zum nächsten, ohne, dass wir überhaupt darüber nachdenken – kaum abgereist, kommen wir schon wieder irgendwo an. Der Zug, vor allem der Nachtzug, wirkt dagegen wie eine Art Zwischenuniversum.
Mehr Zeit zum Nachdenken
14 Stunden Fahrtzeit statt 1,5 Stunden Flugdauer – nach einem tollen Wochenende in Budapest sollte der Nightjet der ÖBB meine beste Freundin und mich über Nacht zurück nach Berlin bringen. Schon beim Einsteigen tauchte aber das erste Problem auf: Online-Tickets schienen für den Schaffner nicht zu existieren, der beim Anblick des Smartphones in meiner Hand feuerrot anlief und begann, laut auf Ungarisch zu fluchen. Anschließend zeigte er uns dann aber doch sehr freundlich unser Abteil im Schlafwagen, das wir uns mit einem Mädchen aus Korea teilten. Sie war gerade auf Europareise und wir kamen sofort mit ihr ins Gespräch.
Zugegeben, die Zeit vergeht im Nachtzug manchmal langsam. Die Waggons rattern vor sich hin, der Blick aus dem Fenster gibt zwischen Sonnenunter- und -aufgang nicht viel her und WLAN gibt es in den alten Zügen der ungarischen Bahn sowieso nicht. Also habe ich ein Buch gelesen, zwei Podcasts gehört, viel nachgedacht, ein paar Stunden geschlafen und mich auf unsere Ankunft in Berlin am nächsten Morgen gefreut.
Wenn beim Fliegen irgendwas nicht nach Plan läuft, findet das meistens keiner lustig. Im Nachtzug hingegen fühlt sich das Reisen plötzlich wieder viel mehr nach Abenteuer an – danach, nicht so richtig zu wissen, was als nächstes passiert.
Als diese sich dann wegen technischer Probleme schließlich nochmal um ein paar Stunden verzögerte, stresste mich das so wenig, dass ich selbst davon überrascht war. Am Flughafen bin ich schon genervt, wenn sich das Boarding nur eine halbe Stunde nach hinten verschiebt, schalte den Flugmodus wieder aus, sobald die Rollen auf dem Boden aufsetzen, und wenn das Personal kein Englisch spricht, bin ich irritiert. Wenn beim Fliegen irgendwas nicht nach Plan läuft, findet das meistens keiner lustig. Im Nachtzug hingegen fühlt sich das Reisen plötzlich wieder viel mehr nach Abenteuer an, danach, nicht so richtig zu wissen, was als nächstes passiert, und es einfach auf sich zukommen zu lassen.
Bei weiteren Reisen lässt sich das Fliegen schwer vermeiden, schließlich können wir nicht alle wie Greta Thunberg den Atlantik mit einem Segelboot überqueren. In Europa jedoch kommt man mit dem Zug tatsächlich fast überall hin, alles was man braucht, ist ein wenig mehr Zeit und Geduld – und meistens leider auch ein bisschen mehr Geld. Unsere Nachtfahrt hat uns 44 Euro pro Person gekostet, was im Vergleich zu vielen anderen Zugverbindungen noch sehr günstig ist, einem beim Anblick der Billigflugpreise aber schnell viel vorkommen kann. Dass sich viele Menschen das Fliegen eher leisten können als die Anreise mit dem Zug, ist ein Problem. Und dass die Deutsche Bahn erst vor ein paar Jahren die meisten Nachtzugverbindungen abgeschafft hat, ebenfalls. Hoffentlich ändert sich das bald – ich werde damit jedenfalls in Zukunft wieder häufiger unterwegs sein.