Klimakrise – Reisen wir ab jetzt mit schlechtem Gewissen?
Neulich traf ich zufällig einen alten Bekannten wieder. Der klassische Smalltalk ließ sich nicht vermeiden, und er erzählte mir, dass er mittlerweile in Berlin arbeitet. Seine alte Wohnung habe er aber behalten, er fliege sowieso jedes Wochenende nach Hause (NRW) und dann eben wieder zurück. "Wow", dachte ich. Zwei Inlandsflüge pro Woche, auf einer Strecke, die sich (zumindest zeitlich) eigentlich auch ohne größere Probleme mit der Bahn zurücklegen lässt. Muss das sein bei der aktuellen Klimakrise?
Klar, jede*r weiß, wie verlockend die Preise bei Kurzstreckenflügen sein können. Vor allem im Vergleich zu dem, was die Deutsche Bahn für vier Stunden Fahrt inklusive Verspätung, defekter Klimaanlage und mäßig funktionierendem WLAN verlangt. Bei zwei Flügen pro Woche (und es gibt genügend Leute, die aus beruflichen Gründen noch häufiger fliegen) kommt aber irgendwann auch einiges an Kosten zusammen – und eine ganze Menge CO2.
Europaweite Hitzerekorde im Juli – die Dringlichkeit sollte langsam mehr als deutlich sein
Wenn ich ehrlich bin, irritierte mich an unserem Gespräch vor allem eins: das völlige Fehlen von Anzeichen für ein schlechtes Gewissen. Oder wenigstens dieses Mitschwingen von einem "Ja, eigentlich sollte man weniger fliegen"-Gedanken. Von #FridaysForFuture und Greta Thunberg bis hin zu weltweiten Hitzerekorden im Juli: In den vergangenen Monaten müsste doch eigentlich allen klargeworden sein, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher?! Mit dem IPCC Report, der im letzten Jahr veröffentlicht wurde und deutlich machte, dass die Menschheit nur noch rund 18 Monate Zeit hat, Emissionen zu verringern, um die globale Erwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen, sollte die Dringlichkeit langsam mehr als deutlich sein.
Flug gebucht, Pläne gemacht – doch wo früher uneingeschränkte Vorfreude und Fernweh im Gepäck waren, macht sich jetzt immer öfter das schlechte Gewissen breit.
Die meisten Menschen in meinem Umfeld haben auf die Klimakrise mit Fragen reagiert: Fragen danach, was nötig ist, um den Schaden zu begrenzen. Und vor allem Fragen danach, was jede*r einzelne von uns selbst dafür tun kann, dass unser Planet auch für folgende Generationen noch bewohnbar ist. Man schwankt ein bisschen zwischen dem Gefühl von Ohnmacht und dem Drang, selbst etwas zu unternehmen. Mehrere in meinem Bekanntenkreis haben das Fleischessen nun endgültig aufgegeben oder beschlossen, keine Billigkleidung mehr zu kaufen; beim Einkaufen wird mehr denn je auf Plastik verzichtet, und mit dem Auto fahren die meisten in der Großstadt sowieso nicht.
Das eine große Thema, das immer wieder aufkommt: Fliegen. Im Inland lieber die Bahn statt das Flugzeug zu nehmen – die meisten würden wohl zustimmen, dass das die bessere Alternative ist. Aber in den Urlaub möchte man dann eben doch gerne mal etwas weiter weg, und Bali, Mexiko oder selbst Mallorca erreicht man so schlecht mit dem ICE. Flug gebucht, Pläne gemacht – doch wo früher uneingeschränkte Vorfreude und Fernweh im Gepäck waren, macht sich jetzt immer öfter das schlechte Gewissen breit.
Flugscham – das Wort des Jahres 2019?
Mehrfach habe ich in den letzten Wochen gehört, wie sich Menschen dafür rechtfertigen, ja, quasi beichten, dass sie für den nächsten Urlaub das Flugzeug nehmen, auch wenn man das ja wirklich eigentlich gar nicht mehr machen sollte. Flugscham – das Wort des Jahres 2019? Und manchmal ginge es ja wirklich auch ohne: Europa hat so viele tolle Reiseziele zu bieten, die man auch ohne Flugzeug erreichen kann.
Ich selbst fühle mich nicht gut dabei, wenn ich darüber nachdenke, dass ich dieses Jahr schon viermal geflogen bin. Andererseits: So oft steigen andere Menschen in der Woche ins Flugzeug, oder? Aber macht das meinen eigenen ökologischen Fußabdruck besser? Natürlich nicht. Getrieben von meinem schlechten Gewissen, machte ich neulich online einen Test, der mir meinen ökologischen Fußabdruck berechnete. Das Ergebnis: Mit 8,9 Tonnen CO2 liegt mein Wert zwar unter dem deutschen Durchschnitt von 12,36 Tonnen. Aber würde die gesamte Weltbevölkerung "so vorbildlich" leben, erklärte mir die Seite, bräuchten wir immerhin nur 2,16 Planeten! Yay!
Das meiste CO2 von meinem persönlichen Fußabdruck könnte ich sparen, wenn ich meine Ferien in Deutschland oder dem nahen Ausland verbringe und damit meine Flugreisen weiter reduziere, schlug mir die Seite vor. Logisch, Flugreisen sind die klimaschädlichste Form des Reisens. Andererseits: An den weltweiten CO2-Emissionen hat Luftverkehr trotzdem nur einen Anteil von 2,92 Prozent; Stromerzeugung, Industrie und andere Verkehrsmittel wie Kreuzfahrtschiffe haben ebenso einen enormen, teilweise größeren Einfluss.
Vielleicht ist dieses schlechte Gewissen erstmal auch gar keine so schlechte Sache, weil es uns dazu bringt, unsere Entscheidungen weiter zu hinterfragen.
Fakt ist: Selbst wenn ganz Deutschland von einem Tag auf den anderen aufhören würde zu fliegen, würde das nicht genug ändern. Es braucht endlich größere politische Entscheidungen, um der Klimakrise was entgegen zu setzen und das Klima zu retten. Es ist natürlich trotzdem immer gut, auch "im Kleinen" über Alternativen nachzudenken, sei es beim Reisen, beim Lebensmittelkauf oder beim Shopping. Seiten wie Travelinho machen es uns zum Beispiel leichter, umweltfreundlichere Reiseoptionen zu vergleichen. Wenn wir uns dann eben doch das nächste Mal dazu entscheiden, zu fliegen, können wir den Flug immerhin per atmosfair kompensieren – und treffen dafür vielleicht eine bewusstere Entscheidung für eine ökologisch nachhaltige Unterkunft oder gehen am Strand des Urlaubsortes eine Runde Plastikmüll aufsammeln.
Vielleicht ist dieses schlechte Gewissen also gar keine so schlechte Sache, weil es uns immerhin dazu bringt, unsere Entscheidungen weiter zu hinterfragen, anstatt mehrmals die Woche innerhalb des Landes hin- und herzufliegen, ohne nachzudenken. Außerdem animiert uns das vielleicht dazu, auch in anderen Lebensbereichen umweltfreundlichere Entscheidungen zu treffen. Und damit ist am Ende doch am meisten gewonnen.