"Wieder da und doch nicht hier" – So ist das Leben nach der großen Reise

© Luca König

Wenn du schon mal von einer langen Reise wieder nach Hause gekommen bist, weißt du, wie schwer es sein kann, wieder in den Alltag zurück zu finden. Zwei, drei Wochen Urlaub entfachen bei vielen Menschen akute Reiselust, aber ihren Job aufgeben, um 24/7 on the road zu sein, würden wohl die wenigsten. Diejenigen, die sich für die Weltreise entschieden haben und nach ein paar Monaten oder ein paar Jahren plötzlich wieder zu Hause sind, fällt nicht nur schnell die Decke auf den Kopf, sie haben es auch ziemlich schwer, wieder in ihren Alltag vor dem großen Abenteuer zurückzufinden.

Viele Reiseberichte hören genau an diesem Punkt auf. Sie erzählen von den spannenden Reisen, Erlebnissen und Begegnungen, aber nicht davon, wie es eigentlich ist, wenn das Leben plötzlich wieder aus geregelten Arbeitszeiten und einem festen Wohnort besteht. Hier setzt das neue Buch der Autorin Uta-Caecilia Nabert an. In "Wieder da und doch nicht hier – Weltenbummler und ihr Leben nach der Reise" lässt sie bekannte Reisende wie Nick Martin, Johannes Erdmann, Tanja und Denis Katzer und Helge Timmerberg zu Wort kommen, die von den Problemen des Ankommens erzählen und wie sie sich ihnen gestellt haben. Wir dürfen einen Auszug aus dem Buch veröffentlichen, in dem Nick Martin, Autor des Buches "Die geilste Lücke im Lebenslauf", von seinen Erlebnissen nach der ersten und vielen weiteren Reisen berichtet.

Auszug aus dem Buch "Wieder da und doch nicht hier"

"Die geilste Lücke im Lebenslauf" – die Geschichte von Nick Martin

Wie alles begann ... Ich bin rein in den Van, ich habe das Rauschen der Wellen gehört und bin mit einem Grinsen im Gesicht eingeschlafen. Das ist mir noch nie passiert. Und dann ist noch etwas passiert. Dieses Grinsen war beim Aufwachen noch da. Das ist im Jahr 2009 gewesen. Ich hatte meinen gesamten Jahresurlaub auf einmal genommen, um drei Wochen lang in Neuseeland zu reisen.

Schnell ging die Zeit vorüber und ich zurück ins Büro. Ich bin gelernter IT-Kaufmann, habe im Anzug Businesssoftware verkauft. Nun wartete ich darauf, dass die Routine zurückkam wie nach jedem Urlaub. Doch das klappte diesmal nicht, der Alltag stellte sich einfach nicht wieder ein. Meine Kollegen waren top, wir rissen Witze, verbrachten die Mittagspause zusammen, unterhielten uns auch mal über Privates. Der Job war auch super, die Software verkaufte sich wie geschnitten Brot. Mein Chef klopfte mir manchmal auf die Schulter. »Du kannst es zu was bringen«, sagte er dann. Aber ich habe auf einmal nur noch halbherzig gearbeitet, und mir wurde klar, dass mein ganzes Leben schon vorgezeichnet vor mir liegt: Karriere als Vertriebsleiter, irgendwann der eigene Firmenwagen, Aufstieg zum Niederlassungsleiter. Ich dachte: Wow, ich werd’ ’ne Menge Asche machen. Aber war’s das? Eigentlich nicht. Und der reichste Mann auf dem Friedhof werden – das ist eigentlich nicht mein Ziel.

Da bin ich hin zu meinem Chef, hab die Tür aufgerissen, auf den Boden gespuckt und gerufen: »Ich kündige!« Nein, so war es nicht. In Wahrheit habe ich vor ihm gesessen und fast geheult. Es war mehr eine Frage, als ich sagte: »Also ... dann ... kündige ich?« Es war meine Reaktion darauf, dass er mich nicht gehen lassen wollte. Eigentlich hatte ich ihn nur gebeten, mir ein Jahr lang unbezahlten Urlaub zum Reisen zu geben – Rückkehr nicht ausgeschlossen.

© Nick Martin

»Bist du bescheuert?«, fragten mich meine Eltern. Sie wussten es, ich wusste es: Ich schmeiße alles weg. Meinen guten Job, der mir meinen A3 Sportback sichert, meine geräumige Dreizimmerwohnung, meine Karriere. Auch meine Freunde verstanden es nicht. »Das alles willst du aufgeben? Für eine Reise?« Ich konnte nur nicken. »Ja.« Meine damalige Freundin hingegen bestärkte mich, obwohl sie selbst fürs Studium daheimbleiben musste. Sieben Jahre waren wir schon zusammen. Sie sagte: »Wenn du jetzt nur wegen mir bleibst, wirst du unglücklich.« Sie ließ mich gehen, entließ mich in eine wunderbare Zeit."

Die Rückkehr. Ich stehe an einem Bushaltestellenhäuschen, und der Novemberregen rieselt auf mich herab. Ich schaue auf das Datum meiner Uhr. Heute vor genau einer Woche bin ich auch nass geworden – von einer fast perfekten Welle an einem der besten Surferstrände der Welt. Da, auf meinem Board, schoss mir das Adrenalin pur durch die Adern. Ich kann es immer noch spüren. Und dann spüre ich wieder den Regen. Er dämpft die Freude, die gerade in mir aufgestiegen ist. Stattdessen steigt einmal mehr das Bild meiner Freundin vor meinem inneren Auge auf. Wie sie mir gestern gegenübersaß. Wie eine fremde Person. Ich erzählte ihr von meinen Abenteuern, doch so richtig, das war ganz deutlich zu sehen, interessierte sie sich nicht dafür. Sie erzählte mir von ihren Schülern, sprach darüber, wie sie täglich nach der Schule noch mehrere Stunden zu Hause am Schreibtisch verbringt, wie sie Klassenarbeiten korrigiert. Wenn ich ehrlich bin: So richtig interessiere ich mich auch nicht mehr für ihre Geschichten, für ihren sich permanent wiederholenden Alltag. Wir beide leben jetzt in zwei verschiedenen Welten, und die sind sehr weit voneinander ent fernt.

Im Grunde ist es so: Wenn du nach einer solchen Reise zurückkommst, wirst du nur nicht verrückt, wenn du dir eine Beschäftigung suchst. Du musst dich ablenken. Du hast so viel erlebt, und dein Kopf kam die ganze Zeit nicht dazu, das zu verarbeiten. Nun, da du wieder sesshaft bist, bekommt dein Hirn diese Gelegenheit und spielt verrückt. War halt alles ein bisschen viel, nicht wahr? Dennoch wehre ich mich jetzt dagegen, als mich das Arbeitsamt wieder in meiner alten Branche vermitteln will. Diese graue Maus beim Amt versteht einfach nicht, dass das nicht mehr geht. Ich will mich selbstständig machen, aber die wollen mir dann das Geld nicht weiterzahlen. Also  schreibe ich mit Absicht Scheißbewerbungen, so lädt mich wenigstens niemand zum Gespräch ein.

"Wieder da und doch nicht hier – Weltenbummler und ihr Leben nach der Reise" von Uta-Caecilia Nabert, erschienen am 11.01.2022 im Delius Klasing Verlag

Schaut auch mal rein in Nick Martins neues Buch "Die geilste Lücke im Lebenslauf – Die dunkle Seite", erschienen im Conbook Verlag

Wieder da und doch nicht hier, Die dunkle Seite, Nick Martin, Uta-Caecilia Nabert
© Delius Klasing | © Conbook

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