Hauptstadt der Bücher: Unterwegs im Bücherdorf Hay-on-Wye in Wales
Was für Foodies Berlin, Paris oder Kopenhagen ist, ist Hye-on-Wye für Bücherwürmer. Das kleine Dorf in Wales ist eine Welthauptstadt, von der man nur wenige Kilometer entfernt nichts ahnt: Hay-on-Wye gilt als das Mekka für Buchfans und ist die Welthauptstadt der Bücher sowie das erste Bücherdorf der Welt. Als ausgewiesene Leseratte musste ich natürlich hin und habe mich umgeschaut.
Wie es sich für den perfekten Ort zum Lesen gehört, gibt es hier nicht viel Ablenkung: Hay-on-Wye liegt mitten im Nirgendwo am Rande des Brecon Beacon Nationalparks und am Fluss Wye, der Wales von England trennt. Rund um das Städtchen gibt es vor allem viel grün und sanfte Hügel – eine Landschaft, die man aus der Netflix-Serie Sex Education kennt, die in der Nähe gedreht wurde. Wenig Aufregung, Idylle pur. Und mitten drinnen steht eine Welthauptstadt mit unzähligen Buchläden: Obwohl Hay-on-Wye ein Dorf mit nur 1500 Einwohner*innen ist, kannst du hier in mehr als 30 Buchläden stöbern. An keinem anderen Ort der Welt gibt es so viele Bücher pro Quadratkilometer.
Wie das kleine Dörfchen Hay-on-Wye zur Welthauptstadt wurde
Obwohl das Örtchen so klein ist, kann man hier gut einen Tag mit Ausflügen in den nahen Nationalpark sogar ein Wochenende füllen. Denn die Buchläden sind total vielseitig: Zu meinen Favoriten zählen der auf queere Literatur spezialisierte Laden Gay-on-Wye, die Buchhandlung Murder & Mayhem, in der sich alles um Krimis dreht, The Poetry Bookshop und der große Second-Hand-Buchladen Richard Booth´s, der schön traditionell mit Holz eingerichtet ist.
Richard Booth´s ist nach dem Mann benannt, der hier alles ins Rollen gebracht hat: Booth öffnete nach einem Studium in Oxford 1961 das erste Antiquariat in seiner Heimatstadt Hay und schaffte einen ganzen Container voller Bücher von New York zu seinem Laden. Wider Erwarten fanden seine günstigen Bücher Anklang in dem Dorf, in das sich zuvor kaum Tourist*innen verirrten.
Mit der Zeit kamen immer mehr Buch-Nerds in die Stadt, um ihre eigenen, teils schrulligen Buchhandlungen zu eröffnen. Schrullig ist ein gutes Stichwort für Booth selbst: 1977 ernannte er sich zum König des Dorfes und verkündete vor Journalist*innen, dass sich Hay-on-Wye von Großbritannien abspalten und die Europäische Gemeinschaft verlassen würde. Als Premierminister hatte er sein Pferd vorgesehen. Die Aktion fand am 1. April statt, das neue Königreich entpuppte sich als Scherz, Booth als Marketing-Master: Denn Hye-on-Wye war landesweit bekannt geworden.
Was du vor deinem Besuch im Bücherdorf wissen solltest
Bei deinem Besuch im Bücherdorf solltest du einen Fehler unbedingt vermeiden: Plane deinen Stadtbummel nicht für den späten Nachmittag. Die meisten Buchläden machen hier schon vor 17 Uhr die Schotten dicht und auf den Straßen ist danach kaum was los. Auch morgens lassen es die Bewohner*innen des Bücherdorfes gemütlich angehen und öffnen die meisten Buchläden erst ab 9.30 Uhr oder 10 Uhr.
Zehn Tage im Jahr wird aus dem verschlafenen Örtchen ein großes Festivalgelände. Von Ende Mai bis Anfang Juni findet hier das elftägige Hay Festival statt, das Bill Clinton bei einem Besuch sogar als „Woodstock des Geistes“ bezeichnet haben soll. Auf dem Programm stehen Veranstaltungen mit bekannten Autor*innen, Poet*innen, Historiker*innen und Musikern*innen und auch der Austausch mit anderen Literaturfans zieht jedes Jahr über 100.000 Besucher*innen aus aller Welt an. Im Stadtzentrum entsteht dann ein Zeltdorf, in dem neben den Veranstaltungsorten auch Pop-up-Cafés, Shops, Restaurants und Leseecken geschaffen werden. Bleiben wir bei der Mekka-Analogie, ist das wohl der Hadsch, die Pilgerfahrt der Bücherfans.