2.700 Kilometer zu Fuß von Eisenach nach Budapest – Davon erzählt das Buch "Klub Drushba"
Wenn es darum geht, ein Instagram-taugliches Leben on the road zu inszenieren, dann sehen wir oft werbetaugliche Fotos von hübsch ausgebauten Vans, bunten Frühstücksbowls und perfekten Sonnenuntergängen am Strand. Keine Frage, mit dem Camper unterwegs zu sein, macht wahnsinnig viel Spaß und ist eine abenteuerlichere Abwechslung zum Übernachten in Hotels und Ferienhäusern. Aber das echte Abenteuer, die wirklich unvorhergesehenen Erlebnisse und Momente – die warten nicht zwischen Fahrerkabine und Windschutzscheibe. Dafür muss man wirklich in die Natur gehen.
"Gehen" meine ich an dieser Stelle wortwörtlich, denn was früher nur bei absoluten Outdoor-Fanatiker*innen beliebt war, wird mittlerweile immer populärer: Weitwandern. Der Fokus liegt dabei auf dem kleinen Wörtchen "weit" und zeigt an, dass es sich nicht um eine Tageswanderung handelt, sondern um ein mehrtägiges Unterfangen. In Europa gibt es zahlreiche Fernwanderwege, die mal 100, mal 1000 Kilometer lang sind und mehrere Länder miteinander verbinden. Wer mag, läuft nur einige Etappen, wer die Herausforderung sucht, den ganzen Weg. Den Grund, nur mit einem großen Rucksack beladen loszuziehen, hat uns die Langstreckenwanderin Christine Thürmer, die bereits unglaubliche 49.000 Kilometer zu Fuß zurück gelegt hat, in diesem Interview erklärt: Wandern macht glücklich und schärft die Sinne für das Wesentliche im Leben.
Einfach loslaufen, on the road sein und mitten in der Natur, dem Leben einen neuen Sinn geben – das wollte auch Rebecca Maria Salentin. Die Autorin erzählt in ihrem Buch "Klub Drushba", wie sie eines Tages den Entschluss fasste, 2.700 Kilometer von Eisenach nach Budapest auf dem Internationalen Fernwanderweg EB zu wandern – obwohl sie eigentlich gar nicht sportlich ist. Doch Salentin ist dickköpfig und wenn sie sich erstmal etwas in den Kopf gesetzt hat, will sie es auch durchziehen. Ihr Buch "Klub Drushba" ist ein absolutes Must-Read für alle, die das wahre Abenteuer zwischen ausgelatschten Wanderschuhen, Isomatte und Campingkocher suchen, die Lust haben auszubrechen oder sich schon immer mal beweisen wollten, dass sie zu mehr in der Lage sind.
Lust aufs Lesen bekommen? Wir dürfen einen Auszug aus dem Buch hier veröffentlichen.
Auszug aus dem Buch "Klub Drushba"
Schwer atmend kämpfe ich mich den Berg hinauf und habe dabei noch nicht mal den offiziellen Startpunkt erreicht. Irgendwo da oben, verdeckt durch Baumwipfel, thront sie, die weltberühmte Wartburg, in der sich einst Martin Luther versteckte und die Bibel übersetzte. Und an dieser historischen, zum UNESCO-Welterbe gehörenden Stätte geht er los, der EB. Das Kürzel EB steht für Eisenach–Budapest. Und genau das habe ich vor: zu Fuß von Eisenach nach Budapest gehen. Bepackt mit Rucksack, Zelt und Kocher will ich beinahe 2.700 Kilometer weit laufen. Angesichts dessen, dass meine Unterschenkel schon auf den ersten Metern ebenso erbarmungslos brennen wie die für den Monat April ungewöhnlich heiße Sonne, frage ich mich allerdings einmal mehr, wie ausgerechnet ich auf die Idee kommen konnte, eine solche Wanderung zu bewältigen.
Ich bin weder mutig noch trainiert. Ich ächze und schnaufe bei jeder Treppenstufe, breche bei der kleinsten Anstrengung in Schweiß aus, werde beim Radfahren von Rentnern überholt, habe Angst vor Spinnen, Hunden, vor Gewitter, tiefen Seen und steilen Höhen, ich fürchte mich im Wald und bin außerdem nachtblind. Ich war schon als Kleinkind motorisch ungeschickt, lernte erst spät laufen und galt als Stubenhockerin. In der Grundschule blieb ich bei Mannschaftsspielen übrig bis zum Schluss, stand neben denen, die als dick galten, und dem Spätaussiedler, der in einem schwarzen Anzug zum Unterricht kam, dem er längst entwachsen war. Mit uns wollte keiner spielen, uns wollte keiner in seiner Mannschaft haben. Ich war so ungeschickt und ängstlich, dass ich zu den ersten gehörte, die abgeworfen wurden und auf der langen Holzbank Platz nehmen mussten. Bundesjugendspiele waren mir ein derartiges Grauen, dass ich mir einmal mit Absicht einen gro.en Stein auf den Fuß plumpsen ließ, nur um nicht teilnehmen zu müssen.
Damit noch nicht genug: Ich finde Funktionskleidung hässlich. Bei mir passen normalerweise die Schuhe zum Gürtel, der Gürtel zur Handtasche, die Handtasche zu den Ohrringen und die Ohrringe zum Nagellack. Ich liebe Blümchen, Rüschen und Stickerei. Wandern hingegen mag ich nicht. Und schon gar nicht, wenn es bergauf geht. Was treibt mich also an? Zum einen bin ich ziemlich stur, was die Durchsetzung meiner Pläne und Träume angeht. Und davon habe ich so viele, dass ich zum anderen berüchtigt bin für meine Wutzideen. Eine Wutzidee, das ist in der Region, in der ich aufwuchs, nämlich in der Eifel, der Begriff für einen dummen Einfall, ein absurdes Vorhaben oder eine verbissene Fixierung. Wutzideen sind in der Regel etwas, worüber das Umfeld lacht, den Kopf schüttelt oder schimpft.
Aber wenn ich mir etwas vornehme, dann ziehe ich es auch durch, egal wie hanebüchen oder spinnert andere es finden. Ich meckere laut vor mich hin, irritiere Spaziergänger und Anwohner. Wie ich bloß auf eine so dumme Idee kommen konnte, bis Budapest zu laufen, nur weil ich drei Jahre zuvor im Elbsandsteingebirge zufällig über eine EB-Hinweistafel stolperte! "Man kann von Eisenach bis Budapest wandern?", wunderte ich mich damals angesichts des beeindruckenden Schaubilds – und beschloss noch in derselben Minute: "Das will ich machen!"
Das Buch "Klub Drushba" ist am 15. Juni 2021 im Verlag Voland & Quist erschienen. 320 Seiten, 20 Euro