So schön ist es, mit dem Nachtzug von Berlin nach Stockholm zu fahren
Nachtzügen hängt in meiner Vorstellung ein gewisser wild-romantischer Flair an. Ein elegantes Hotel auf Rädern. Dass ich zu oft „Mord im Orientexpress“ gesehen habe, rufe ich mir vor dem Eingang des Hamburger Hauptbahnhofes noch einmal ins Gedächtnis. Ich bin auf dem Weg zum Snälltåget, dem Nachtzug von Berlin nach Stockholm, der seit Juni 2021 erstmalig wieder seit 1994 von Deutschland nach Stockholm fährt. Es ist 23 Uhr, Mittwochabend und am Bahnhof ist immer noch viel los. An der Treppe zu Gleis 5 spähe ich gespannt nach unten, aber kann von hier nicht viel sehen. Am Ende der Treppe habe ich den ganzen Trubel des Bahnhofes hinter mir gelassen. Vor dem Snälltåget stehen nur zwei Schaffner und unterhalten sich leise. Auf der weißen Außenwand stehen die Haltestellen geschrieben: Berlin, Malmö, Stockholm. Ansonsten sieht der Zug schlicht und ein bisschen altmodisch aus.
Meinen Waggon finde ich am linken Ende des Zuges. Nachdem ich meinen Koffer in den schmalen Eingang gehievt habe, stelle ich fest, dass der Zug auch innen eher schlicht ist. Ich spähe kurz in die Zugtoiletten, an denen ich vorbei zur Gepäckablage komme. Sie entsprechen ungefähr denen in deutschen Regiozügen. Also ganz okay, wichtig bei 14 Stunden Zugfahrt. Nachdem ich meinen Koffer ohne Probleme in der Gepäckablage verstaut habe, komme ich ins Abteil. Hier sieht es nun endlich nach alter Eleganz aus. Die Sitze sind rot bezogen, Kopfteil aus Leder. Neben dem Fenster hängen goldene Leuchten und beige Vorhänge. Es ist angenehm ruhig. Einige Zuggäste sind schon seit Berlin dabei, die meisten schlafen. Ich finde im Dämmerlicht meinen Platz: Vierer Sitzecke mit Tisch, dessen Seitenteile sich praktischerweise hochklappen lassen.
Auf meinem Platz liegen Kissen und Decke, Teil des Komfortpaketes, das ich mir gebucht habe – es wird sich noch herausstellen, dass sie Gold wert sind. Beim Ticketkauf hatte ich die Wahl zwischen „Seat“, „Seat + next Seat free“ oder „Private Compartment“. Als preislicher Kompromiss habe ich mich für einen Doppelplatz, also „Seat + next Seat free“ entschieden. Ein Liegeplatz im Abteil ist deutlich teurer, ich hätte 1700 Schwedische Kronen, etwa 170 Euro mehr gezahlt. Aber der Preis variiert nach Tag und Vorlaufzeit: Wenn du deine Reise frühzeitig planst, lohnt es sich, ein Schlafabteil zu nehmen.
Snälltåget: Altmodisch, aber gemütlich
Ich mache es mir bequem: Kissen im Rücken, die Beine angewinkelt über beide Sitze. Dann kuschele ich mich in die frisch duftende Decke ein. Nach hinten kippen kann man die Sitze leider nicht. Sie sind aber deutlich bequemer, als ich es aus deutschen Zügen gewohnt bin. An jedem Platz gibt es außerdem funktionierende Steckdosen. Nur WLAN gibt es aktuell nicht, daran arbeitet die Snälltåget laut Website noch. Das Licht im Waggon wird die ganze Nacht an bleiben, wenn auch gedimmt – heißer Tipp: Schlafmaske! Ohrstöpsel sind auch sinnvoll, denn obwohl es sehr ruhig ist, schnarcht im großen Abteil immer wieder jemand oder raschelt mit dem Rucksack.
Bis der Zug losfährt, dauert es noch, ich schaue mich im Wagen um. Wie ich sind viele Reisende alleine unterwegs, darunter auch einige Frauen. Ich fühle mich sehr wohl und sicher. Dann fährt der Zug langsam aus dem Hamburger Hauptbahnhof, am Fenster ziehen die Lichter der Stadt vorbei, unsere Nachtfahrt beginnt! Ich bin gespannt, was ich auf der langen Strecke noch alles entdecken werde. Der Schaffner kommt gleich zu Anfang vorbei, um die Tickets zu kontrollieren, dann sehe ich ihn bis zum Halt in Malmö nicht mehr. Den Rest der Nacht verbringe ich damit, Hörbuch zu hören, einzunicken und immer wieder die Sitzposition zu ändern. Wer kürzere Beine hat, kann sich auf den zwei Sitzplätzen hinlegen und schlafen. Alle anderen müssen wie ich immer wieder die Position ändern, damit Beine und Pobacken nicht einschlafen.
Um 1.45 Uhr, nach etwa zwei Stunden Fahrt, halten wir im kleinen Ort Padborg, kurz hinter der dänischen Grenze. Dort soll die Grenzpolizei eigentlich unsere Impf- oder Testnachweise kontrollieren. Kurzzeitig werden alle wach, in einer E-Mail von Snälltåget hieß es, man solle sich einen Wecker stellen. Aber wir fahren nach einer Stunde ohne Kontrolle weiter. Vielleicht hat die Grenzpolizei verpennt, es ist ja auch Mitten in der Nacht. Jetzt geht es in schnellem Tempo quer durch Dänemark bis nach Kopenhagen. Stunden um Stunden zieht die Landschaft im Dunklen an uns vorbei. Erst als wir die dänische Hauptstadt hinter uns lassen, geht die Sonne auf und gleichzeitig erreichen wir as Meer. Dieser Streckenabschnitt ist mein absolutes Highlight. Der Zug fährt knapp über dem Wasser auf der fast acht Kilometer langen Öresundbrücke. Das Meer im Morgengrauen zu sehen ist wunderschön und macht die unruhige Nacht locker wieder wett.
Das Meer im Morgengrauen zu sehen ist wunderschön und macht die unruhige Nacht locker wieder wett
Als es hell geworden ist, gehe ich im Zug spazieren. Er ist kürzer als gedacht und gliedert sich in drei Waggons mit Sitzplätzen im vorderen Bereich des Zuges und zwei Schlafwaggons im hinteren Bereich. Ein Bistro gibt es in diesem Zug nicht. Das Zugpersonal reicht aus kleinen Küchenkabinen Getränke und Frühstück. Wenig später, um 7.15 Uhr, haben wir den ersten langen Abschnitt unserer Reise geschafft und erreichen den Bahnhof in Malmö. Er sieht aus wie aus der Zeit gefallen: Weiß gestrichene Holzwände, rote Metallbögen und alte, schwarze Lokomotiven. Daran schließt elegant ein Neubau an, der komplett aus Glas besteht. Alle Zuggäste müssen hier einmal aussteigen. Ich bin noch etwas müde und zerknautscht, aber beim Anblick des schönen Bahnhofs gut gelaunt.
In Malmö ans Meer spazieren
In der kurzen Zeit zwischen Sonnenaufgang und der Ankunft in Schweden habe ich zwei meiner Mitfahrerinnen kennengelernt. Wir beschließen gemeinsam unseren zweistündigen Aufenthalt zu nutzen, um Malmö zu erkunden. Die Koffer schließen wir ein und verlassen die „Centralstation“. Am Wasser entlang führt unser Weg vorbei an Kunstwerken und bunt dekorierten Schiffen bis ans Meer. Hinter einem kleinen Leuchtturm erstreckt sich das Wasser bis zum Horizont. Wunderschön. So entspannt war ein Zugumstieg noch nie, ich bin total begeistert. Wir genießen die Sonne und den Ausblick, dann geht es gemütlich zurück zum Bahnhof.
Zurück am Hauptbahnhof gibt es für mich noch meine erste Kanelbulle (Zimtschnecke) auf schwedischem Boden. Klassischerweise trinkt man dazu eine Tasse Bryggkaffe (schwedischer Filterkaffee), auf die ich aber verzichte. Immerhin liegen noch fünf Stunden Fahrt vor mir und ich hoffe noch etwas schlafen zu können. Der neue Zug sieht von außen genauso aus wie unser Nachtzug, nur sind die Sitze jetzt blau, nicht mehr rot und es gibt keine Liegeabteile mehr. Dafür aber einen Bistrowaggon, der dann doch noch den Orientexpress-Flair erfüllt: Weiche blaue Sitzsofas, goldene Stehlampen mit grünem Schirm und natürlich ein toller Ausblick auf die schwedische Landschaft.
Der Bistrowaggon erfüllt dann doch noch den Orientexpress-Flair: Weiche blaue Sitzsofas, goldene Stehlampen mit grünem Schirm und natürlich ein toller Ausblick auf die schwedische Landschaft.
Bullerbü aus dem Zugfenster
Um 9.19 Uhr geht es von Malmö aus weiter Richtung Stockholm. Auf diesen letzten 600 Kilometern versüßt mir die schöne schwedische Landschaft die Zeit. Am Fenster rasen Birkenwälder, Seen und, na klar, Schwedenhäuser vorbei! Die leuchtend rot und gelb gestrichenen Holzhäuser erfüllen mit ihren fein geschnitzten, weißen Giebeln meine von Astrid Lindgren geprägten Kindheitsträume. Und befeuern meine freudige Erwartung auf die schwedische Hauptstadt. Auch die Schwed*innen, die immer wieder ein und aussteigen, sind ganz so wie ich sie mir vorgestellt habe: groß, wahnsinnig gut gekleidet und höflich. Während der Fahrt werde ich öfter auf Schwedisch angesprochen, wovon ich leider rein gar nichts verstehe. Macht aber nichts, alle sprechen absolut perfektes Englisch.
Die Zeit vergeht wie im Flug, mein Sitzplatz am Tisch ist sehr gemütlich. Seit Stockholm trägt übrigens niemand mehr Masken. Das Tragen wird empfohlen, ist hier aber nirgendwo verpflichtend. Während der letzten Minuten lasse ich die Fahrt noch einmal Revue passieren. Ich saß zwar sehr bequem, aber für die nächste Reise würde ich dann doch ein Liegeabteil nehmen und dann frühzeitig buchen. Mir wird jetzt erst richtig klar, wie weit Stockholm von Deutschland entfernt ist. Es liegt immerhin höher als die nördlichste Stadt Großbritanniens! Von Berlin sind es zwar eigentlich nur 810 Kilometer Luftlinie, aber wir haben von Berlin aus auf dem Landweg ganze 1400 Kilometer hinter uns gebracht. Gar nicht schlecht. Während ich so rechne, rasen wir über die letzte Brücke und erreichen auch schon die Ausläufer von Stockholm! Mit ganz leichter Verspätung kommen wir um 14.40 Uhr im Bahnhof der schwedischen Hauptstadt an. Und ich steige nach knapp 15 Stunden aus dem Zug aus und bin schwer begeistert. Fliegen geht zwar um einiges schneller, aber mit dem Zug wird der Weg zu einem echten Erlebnis.
Fliegen geht zwar um einiges schneller, aber mit dem Zug wird der Weg zu einem echten Erlebnis.