Darf man heute noch Urlaub machen? – Probleme und Lösungen eines Massentourismus, der die Welt kaputt macht

© Charlott Tornow

Ich habe erst vor ein paar Jahren meine Reiselust entdeckt und bin ihr umso stärker verfallen. Doch wo noch vor ein paar Jahren Weltreisen das ultimative Lifegoal junger Menschen war, ist Jetset mittlerweile in Verruf geraten. Für Menschen wie mich, die gern reisen und die Welt kennenlernen möchten, ist das ein moralisches Dilemma. In Australien, Brasilien und Kalifornien brennen die Wälder, die azurblauen Strände von Bali werden mit Plastikmüll überschwemmt, die Luft in vielen Großstädten wird immer schlechter und Massentourismus sorgt dafür, dass sich Locals nicht mehr heimisch fühlen. Ich wurde sogar schon auf Instagram gefragt, ob ich nicht ein schlechtes Gewissen hätte, weil ich so viel reise. Ich verstehe die Zweifel, die diese Frage formuliert haben und die Ohnmacht, die viele ob der Klimakrise empfinden. Ich möchte deshalb einmal die Probleme betrachten, die die außer Kontrolle geratene Reisewut mit sich bringt. Und gleichzeitig aber auch Lösungen aufzeigen. Denn ich glaube, dass wir auch zukünftig nicht auf Auszeiten in anderen Ländern verzichten müssen. Wir müssen nur unsere Gewohnheiten ändern.

Das sind die Probleme von Massentourismus

Das Dilemma fängt bei der Anreise an. Mittlerweile dürfte hoffentlich allen klar sein, dass Reisen mit dem Flugzeug oder dem Kreuzfahrtschiff einer der treibenden Faktoren des Klimawandels sind. Dabei wirken die freigesetzten Treibhausgase nicht nur auf einen Ort ein, sondern auf das Klima der gesamten Welt. Auch die allseits beliebten Roadtrips mit alten Bullies und VW-Bussen sind nicht nachhaltiger, denn die Fahrzeuge verbrauchen oftmals vielmehr Treibstoff als neue Autos.

Erstmal am Zielort angekommen, merken wir schnell, dass wir nicht die einzigen sind. Sehr viele Städte und Regionen haben mit Overtourism zu kämpfen, dem touristischen Super-GAU. Städte wie Venedig und Barcelona oder Inseln wie Mallorca und Santorini kollabieren ob der Menschenmassen, die dort jährlich einfallen. Dabei besteht eine krasse Diskrepanz zwischen der Einwohner- und der Touristenzahl. Im historischen Zentrum von Venedig beispielsweise leben gerade mal 59.000 Menschen, die täglich auf 100.000 Tagestouristen und jährlich auf 30 Millionen Besucher treffen. Dem kleinen Ort Hallstatt in Österreich geht es noch schlechter. Auf 780 Einwohner kommen pro Jahr eine Million Besucher, das Verhältnis von Einwohnern zu Touristen ist so sechsmal höher als in Venedig, berichtet Reiseporter.

Touristenmassen an der beliebten Seufzerbrücke in Venedig © Charlott Tornow

Durch Massentourismus leidet die Natur

Durch Overtourism ergibt sich ein weiteres Problem: die Natur leidet. Wenn beispielsweise 1 Millionen Touristen in das kleine Hallstatt kommen, dann hinterlassen die ihren Müll und selbst wenn man sich vorsichtig durch die Natur bewegt, hinterlässt man Spuren. In Venedig wiederum bröckelt die Substanz der fragilen Gebäude. Der Wellenschlag der vielen Motorboote und Kreuzfahrtschiffe frisst an den Fundamenten der Gebäude, die vor Jahrhunderten errichtet wurden. Zudem werden die Fundamente, die nur auf Holzpfählen stehen, durch das Ausbaggern von Fahrrinnen für die Kreuzfahrtschiffe unterspült. Da der Wasserspiegel steigt, ist in den meisten Gebäuden das unterste Geschoss unbewohnbar. Ein anderes Problem auf Mallorca ist die Wasserknappheit. Die Stauseen Gorg Blau und Cúber versorgen die Mallorqiner mit Wasser. Aber nicht nur anhaltende Dürre, sondern auch der Wasserbedarf der gestiegenen Touristenmassen lässt die Seen austrocknen.

Massentourismus begünstigt Ausbeutung und Menschenrechtsverletzungen

Tourismus kann zwar auch Geld in ein Land bringen, das sinnvoll für Entwicklungsarbeit eingesetzt werden kann. Aber es führt auch zu Ausbeutung und zur Vergrößerung der Kluft zwischen Arm und Reich. 2019 streikten die Zimmermädchen in Spanien, um auf die Arbeitsbedingungen und die schlechte Bezahlung aufmerksam zu machen. "Bei Billigangeboten kann sich jeder ausrechnen, dass nicht mehr viel vor Ort bleibt", sagte dazu die Tourismuskritikerin Christine Plüss in einem Interview mit der ZEIT, das bereits 2011 erschien.

Zusätzlich sollte man sich immer über die politische Situation eines Landes bewusst sein. Will man eine Regierung wie die ungarische unterstützen, die immer häufiger gegen Menschenrechte verstößt, das Demonstrationsrecht eingeschränkt oder Obdachlosigkeit unter Strafe stellt? Oder muss ein Urlaub in der Türkei sein, wo regimekritische Personen willkürlich inhaftiert werden?

Gar nicht reisen, ist auch keine Lösung.

Ob all dieser Probleme kann man schon mal ohnmächtig zuhause sitzen und sich fragen, wie man noch mit gutem Gewissen irgendwo Urlaub machen kann. Viele mögen jetzt glauben, dass die beste Lösung für die oben genannten Problem daher ist, gar nicht mehr zu reisen. Doch ein Boykott bringt nichts, denn Touristen aus anderen Ländern kommen trotzdem ins Land, weil sich die Tourismusbehörden der Urlaubsdestinationen einfach auf andere Länder fokussieren und dort Werbung schalten. Denn viele Länder sind mittlerweile abhängig vom Tourismus; bleiben Touristen aus, verlieren viele Menschen ihre Arbeit. Und darüber hinaus fördert Tourismus den kulturellen Austausch und das Verständnis für andere Kulturen. Das ist wichtig in einer immer stärker globalisierten Welt. Klar ist so ein All-Inclusive-Urlaub am Strand schön, aber will man sich wirklich von ausgebeuteten Arbeiter*innen bedienen lassen?

Wie Reisen trotzdem nachhaltig sein kann

Wie kann also ein nachhaltiger Tourismus aussehen, der nicht der Natur schadet und von dem Menschen profitieren? Eine Reduzierung der Reisen ist ein Anfang. Müssen wir wirklich alle zwei Monate ein verlängertes Billigwochenende in europäischen Großstädten machen oder reicht auch ein langer Urlaub, während dessen man ein Land und seine Menschen wirklich kennenlernt?

Bei der Auswahl der Destination sollte man sich vorab bewusst machen, dass viele Regionen und Städte unter Overtourism leiden und mit Menschenmassen und Umweltproblemen zu kämpfen haben. Klar ist ein Foto von der Sagrada Família in Barcelona oder vor der Seufzerbrücke in Venedig schön, aber muss man wirklich jedes Foto auf Instagram nachstellen? Gerade in Europa gibt es so viele andere spannende Ziele wie Bosnien und Herzegowina oder Albanien, die noch unbekannt sind und entdeckt werden wollen.

bosnien und herzegovina, mostar
© Charlott Tornow

Urlaub in Europa statt Langstreckenflüge

Apropos Europa: Wer auf unserem schönen Kontinent Urlaub macht, spart sich Langstreckenflüge. In fast jedes Land kommt man mittlerweile mit dem Zug oder zumindest mit dem Auto. Klar dauert die Anreise dann länger, aber wenn wir weniger Urlaub machen, fallt eine ein- oder zweitägige Anreise und der Mehrpreis für die Zugtickets auch nicht so schwer ins Gewicht. Wer sich eine lange Anreise sparen will, könnte ja auch einfach den Blick auf die direkten Nachbarländer werfen. Belgien oder Tschechien klingen vielleicht erstmal unsexy, aber die Länder haben viele hübsche kleine Städtchen, die locker mit den bekannten Großstädten mithalten können und sogar charmanter sind.

Auch vor Ort könnt ihr nachhaltig unterwegs sein. Zahlreiche Unterkünfte und Hotels sind mittlerweile nachhaltig – manche beziehen Naturstrom, andere versorgen sich autark, viele Hotelrestaurants kochen mit regionalen und saisonalen Zutaten aus dem eigenen Garten oder sie unterstützen die örtliche Landwirtschaft. Aus Zertifikaten und Siegeln auf der Website geht hervor, welche Umweltstandards sie einhalten. Wer auf der Suche nach nachhaltigen Unterkünften sollte mal bei Good Travel vorbeischauen, wo ihr ausschließlich nachhaltige Hotels und Unterkünfte in Europa buchen könnt.

Nachhaltig unterwegs im Urlaub

Im Urlaub selbst können wir mit nur kleinen, einfachen Änderungen unseres Lebensstils viel bewirken, zum Beispiel, indem wir auf nachhaltige Produkte umsteigen und so wenig Müll wie möglich produzieren. Eine Liste mit nachhaltigen Reiseaccessoires findet ihr hier. Und auch wenn wir shoppen und essen gehen, sollten wir unser Geld nicht den großen Ketten geben, sondern kleinen Unternehmen und Geschäften – damit das Geld bei der Bevölkerung ankommt.

Darüber hinaus ist der kulturelle Austausch mit den Menschen vor Ort unerlässlich. Was bringt ein Urlaub, wenn man sich so gar nicht mit dem Urlaubsland auseinander setzen will? Über Gespräche kann man erfahren, was die Locals umtreibt, wie die politische Situation fernab von Medienberichten wirklich ist und ob ein Wiederkommen sinnvoll ist.

Schlussendlich kann man Urlaub auch mal vor der eigenen Haustür oder zumindest im eigenen Bundesland machen. Auch wenn kein Urlaub auch keine Lösung ist, so sollten wir uns daran erinnern, dass Urlaub vor allem im Kopf passiert. Wir brauchen nicht immer Sonne und Strand, um abzuschalten.

Gut Klostermühle
Urlaub in Brandenburg im Gut Klostermühle © Charlott Tornow
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