Per Anhalter über den Atlantik – Wie man mit viel Abenteuerlust die Welt bereist
Ich habe Anita im September 2021 in Albanien getroffen, als ich mit meinem Freund im Camper unterwegs war und wir gerade eine Nacht am Strand in der Nähe des kleinen Ortes Borsh verbracht hatten. Obwohl der Süden Albaniens im Hochsommer mittlerweile ziemlich angesagt ist, trifft man hier in der Nebensaison kaum noch Tourist*innen. Diejenigen, die unterwegs sind, kommen mit der Camper – oder, in Anitas Beijas Fall, zu Fuß. Durch die Windschutzscheibe des Autos sahen wir einen riesigen Rucksack und einen nach oben gereckten Daumen. Platz im Auto hatten wir, also nahmen wir sie bis zu unserem nächsten Stop mit. Natürlich wollten wir wissen, wer sie ist und woher sie kommt und sie erzählte uns, dass sie gerade von einem Hippie-Festival irgendwo im Nirgendwo Albaniens kam und dass sie mittlerweile seit Januar 2013 per Anhalter unterwegs ist.
Obwohl wir uns gerade mal 30 Minuten unterhalten haben, haben mich Anita – die übrigens aus Israel stammt –, ihr Leben und ihre Abenteuer unglaublich beeindruckt und ich wollte ihre Geschichte unbedingt erzählen. Als ich dann auf ihrem Instagram-Profil sah, dass sie mittlerweile per Anhalter auf Segelbooten mitfährt und den Atlantik überquert hat, schrieb ich ihr eine lange Liste an Fragen, die sie ein Glück mit viel Geduld beantwortet hat, denn "ich habe hier immer nur eine halbe Stunde Internet", wie sie mir in einer ihrer Sprachnachrichten erzählt.
Anita, wir haben uns im September 2021 in Albanien kennengelernt. Was hast du seitdem erlebt?
Anita: "Ich bin erst durch den Balkan gereist, Albanien, Kosovo, Nordmazedonien, und dann Serbien. Danach ging es weiter nach Portugal und Spanien, hier habe ich angefangen, per Anhalter auf Segelbooten mitzufahren und den Atlantischen Ozean zu überqueren. Jedes Segelboot hat seine ganz eigene, lange Geschichte. Das erste Boot, auf dem ich mitgefahren bin, wurde der Küstenwache gemeldet, weil wir 20 Tage auf See verschwunden waren, anstatt der geplanten ein oder zwei Wochen. Der Skipper des zweiten Boots war extrem unerfahren; gefühlt hatte er von nichts eine Ahnung. Wir haben beim Ankern unser Hauptsegel aufgrund einer Windböe verloren. Weil wir auf dem Boot keinen Ersatzmotor hatten, mussten wir abgeschleppt werden. Die Leute auf dem dritten Boot waren recht langweilig und konservativ. Wir sind von Teneriffa Richtung Kap Verde gefahren und nach fünf Tagen habe ich mitten auf dem Ozean das Boot gewechselt, das dann wieder ziemlich interessant war: ein selbstgebauter Katamaran, auf dem schon zehn Personen mitgefahren sind. Auf den Kap Verden habe ich ungefähr einen Monat verbracht und viele interessante Menschen und Unternehmen kennengelernt, die dort viele Aufforstungs-, Recycling und soziale Projekte für talentierte Kinder vorantreiben."
"Und dann bin ich über den Atlantik gesegelt. Wir waren zu fünft auf einem zehn Meter langen Boot, kamen in Guadalupe an und verbrachten dort ungefähr eine Woche. Ich bin um die Insel getrampt und habe so viele wunderschöne Orte gesehen: den Dschungel, die Berge, Strände, vor denen Schildkröten schwimmen. Und gerade schreibe ich dir nach einem ziemlich schrecklichen Segelerlebnis. Ich habe eine Woche mit einem deutschen Psychiater-Kapitän auf einem Boot verbracht, der ziemlich verrückt ist, obwohl er wahrscheinlich dasselbe über mich denkt. Ich bin auf jeden Fall froh, an Land zu sein."
Ich habe eine Woche mit einem deutschen Psychiater-Kapitän auf einem Boot verbracht, der ziemlich verrückt ist, obwohl er wahrscheinlich dasselbe über mich denkt.Anita Beija
Das klingt ziemlich aufregend! Erzähl mir mal, wie das Hitchhiken von Booten funktioniert.
"Um auf Booten umsonst mitsegeln zu können, muss man ein bisschen recherchieren und sich vor Ort ins Zeug legen. Auf Facebook gibt es Segelgemeinschaften, dort kann man Gesuche veröffentlichen und hoffen, dass sich jemand meldet. Am besten funktioniert für mich, die Menschen in echt kennenzulernen. Ich gehe meistens zum Yachthafen, hänge dort rum, rede mit Leuten, helfe ihnen mit den Booten und irgendwann ergibt sich was."
Du lebst ja im Prinzip aus deinem Rucksack. In all den Jahren on the road, was ist das Wichtigste in deinem Bag?
"Mein Rucksack ist mein Zuhause und genauso wie ein Zuhause muss mein Rucksack mir ein gutes Gefühl geben. Das Allerwichtigste ist mein Pass. Ich treffe aber auch manchmal Menschen, die ohne einen unterwegs sind. Ich habe auf meinen Reisen gelernt, dass es keine materiellen Dinge gibt, die nicht wiederbeschafft oder recycelt werden können... das Wichtigste ist deine körperliche und geistige Gesundheit."
Ich habe auf meinen Reisen gelernt, dass es keine materiellen Dinge gibt, die nicht wiederbeschafft oder recycelt werden können... das Wichtigste ist deine körperliche und geistige GesundheitAnita Beija
Und welcher Gegenstand ist nicht wirklich wichtig, hast du aber immer bei dir?
"Mein kleiner Plüschtiger ReyRei. Er hat einen sentimentalen Wert für mich und eine coole Geschichte noch dazu und ist mein Travel Buddy seit November 2014."
Was brauchst du gar nicht?
"Es gibt so viele Dinge, die ich nicht mitnehmen kann, weil ich nur einen begrenzten Platz in meinem Rucksack habe. Was ich mitnehme, hängt davon ab, wie oft ich es benutze. Dann überlege ich, ob ich es beim nächsten Mal leicht besorgen kann, wenn ich es brauche wie Kleidung oder eine Yogamatte."
Du hast mir erzhählt, dass du fast nie Geld für Verkehrsmittel, Essen oder Unterkünfte ausgibst, du reist also mit sehr wenig Geld. Wie kommst du über die Runden? Arbeitest du manchmal für Kost und Logis?
"Das stimmt, ich gebe kein Geld für Unterkünfte aus, abgesehen von der Ausrüstung wie Zelt oder Schlafsack. Ich gebe auch kein Geld für Busse und Transportmittel aus, abgesehen von einigen seltenen Flügen, wenn es zum Beispiel einfach keine andere Option gibt oder ich dringend irgendwo sein muss. Ich kaufe vor allem Obst und Gemüse, aber keine tierischen Produkte, Alkohol, Drogen oder Zigaretten… Normalerweise arbeite ich nicht für Kost und Logis, es sei denn, es ist ein interessantes Projekt, das einen zusätzlichen Wert für mich hat, zum Beispiel weil ich neue Skills lernen kann oder ich den sozialen Aspekt dahinter gut finde. Wenn ich mich in der Vergangenheit für Freiwilligenprojekte gemeldet habe, dann deshalb, weil mir die Arbeit an sich wichtig war, nicht das Geld. Am Ende habe ich dann sogar immer noch ein bisschen mehr erhalten, als versprochen, sodass ich weiterreisen und mich gesund ernähren konnte."
Ich bewundere deinen Lifestyle total, aber ich würde es vermissen, in die kulinarische Kultur eines Landes einzutauchen oder in coolen Unterkünften zu übernachten. Vermisst du das auch oder ist es möglich, das auf eine ganze andere Art und Weise zu erleben?
"Was Essen angeht, manchmal laden mich Menschen zu sich nach Hause ein oder sogar ins Restaurant. Das sind die besonderen Momente der Reise. Und manchmal habe ich sogar die Möglichkeit, an wirklich außergewöhnlichen Orten zu bleiben. Gestern wurde ich auf einen Katamaran eingeladen, ich habe hier ein privates Luxuszimmer bekommen. Es ist wirklich eine andere Art des Reisens und weit weg vom typischen Tourismus. Es ist auf jeden Fall auch herausfordernd, aber wenn man offen für Abenteuer ist, ergeben sich viele verschiedene, interessante Möglichkeiten."
Warum hast du diesen Lifestyle überhaupt gewählt?
"Seit ich ein kleines Kind war, haben mich die Geschichten interessiert, die von Reisen handeln, von Weltenbummlern und Menschen, die die Welt entdecken, von Künstlern, die auf der ganzen Welt heimisch sind. Von Märchen- und Filmfiguren über Zeichentrickfilme bis hin zu Fernsehserien. Ich erinnere mich zum Beispiel, dass Jack Cousteau mein Held war. Ich hatte einfach immer das Bedürfnis, die Welt zu entdecken. Ich möchte Menschen inspirieren und davon überzeugen, dass die Welt schön und nicht beängstigend ist, dass es sich lohnt, sie zu erkunden … und wenn genügend Menschen sehen, dass wir uns alle sehr ähnlich sind, gibt es vielleicht weniger Diskriminierung, Kriege und Konflikte. Vielleicht lernen die Menschen, sich gegenseitig zu respektieren."
Ich möchte Menschen inspirieren und davon überzeugen, dass die Welt schön und nicht beängstigend ist, dass es sich lohnt, sie zu erkundenAnita Beija
Glaubst du, dass du jemals wieder ein „normales“ Leben führen und dich irgendwo mit Wohnung niederlassen kannst?
"Ich bin nicht interessiert an einem Bürojob, das könnte ich nie machen. Vor meinem Nomaden-Leben habe ich im Bereich darstellende Kunst gearbeitet, habe unterrichtet und sogar geputzt. Wenn, dann würde ich das auch wieder machen, weil ich gern kreativ bin, aber auch einen Drang zu Ordnung habe. Ich will mich tatsächlich niederlassen, nur mein „Niederlassen" und das normale Niederlassen sind ist nicht unbedingt dasselbe. Ich möchte sowas eine Homebase, eine Gemeinschaft, ein Netzwerk gleichgesinnter, inspirierender Menschen mit ähnlichen Ideologien und Leidenschaften, an einem Ort, an dem wir so sein können, wie wir sind, und der es uns erlaubt, unsere Ideen und Träume in die Realität umzusetzen."
Was sind deine Pläne für die nahe Zukunft?
"Ich will im November nach Lateinamerika reisen, aber bis dahin folge ich dem Wind. Wenn Segeln mir etwas beigebracht hat, dann ist es, dass das Wetter und die Bedingungen das Ziel diktieren und ich muss offen sein für alles. Man kann sich dagegen wehren, aber man wird seine gesamte Energie in diesem Kampf verschwenden."
Danke, Anita!
Das Interview wurde aus dem Englischen übersetzt.
Charlott Tornow