Wo die Zeit langsamer vergeht – Eine Winterwanderung auf der Via Engiadina

© Anthea Schaap

Immer schön “pachific” bleiben, wird mir zugerufen, während ich wohl etwas zu forsch den Berghang hinabstapfe. “Pachific” ist Rätoromanisch, die vierte Amtssprache der Schweiz und bedeutet – abgeleitet vom lateinischen “pacificus” (friedensstiftend) – so viel wie “gemütlich” oder “entspannt”. Es beschreibt das Graubündner Lebensgefühl: die Dinge ruhig anzugehen und sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.

Genau die richtige Einstellung für eine Winterwanderung entlang der Via Engiadina. Die Route führt durch die stille Winterlandschaft des Engadins, einem der höchstgelegenen bewohnten Täler Europas. In vier Etappen wanderst du von Zernez bis nach Scuol – ein in der Schweiz einzigartiger Winter-Weitwanderweg. Unterwegs erwartetdich nicht nur spektakuläres Bergpanorama, sondern auch ein tiefer Einblick in die faszinierende romanische Kultur des Engadins.

Alle Infos zu Via Engiadina

Unterwegs auf der Via Engiadina

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Engadiner Kultur erleben – von Zernez nach Guarda

Die Wanderung startet in Zernez, markiert von den pinken Pfosten, die Schweizer Winterwanderwege kennzeichnen. In Susch kannst du bei Josin Neuhäusler einen Workshop für Sgrafitto besuchen – die alte italienische Kratztechnik, die das typische Erscheinungsbild eines Engadiner Dorfes prägt. Sein Großvater gestaltete bereits die kunstvollen Fassaden, sein Vater gab ihm das Handwerk weiter. Im Workshop lernst du die Bedeutung kennen und kannst die Technik selbst ausprobieren – Geschichte zum Ankratzen, sozusagen. Auch ohne Workshop lohnt sich ein Besuch in seiner Werkstatt und im Shop (nach Anmeldung).

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Der Weg nach Lavin führt durch schattige Fichtenwälder, die immer wieder den Blick auf die schneebedeckten Kuppen der umliegenden Bergketten freigeben. Die engen, verschachtelten Gassen, die Piazzas und die Palazzo-ähnlichen Gebäude Lavins erzählen von dem verheerenden Brand im Jahr 1867, bei dem bis auf die Kirche fast das gesamte Dorf zerstört wurde. Der Wiederaufbau erfolgte mit Unterstützung italienischer Arbeiter, deren Stil bis heute erkennbar ist.

Am Plazza Gronda, dem großen Dorfplatz mit dem passenden Steinbock-Brunnen, thront das Hotel und Restaurant Linard Lavin. Hier treffen das alte und das moderne Engadin aufeinander. Seit zwei Jahren wird das Traditionshaus von der neuen Generation geführt, die nicht nur einen Ort der Entschleunigung für Gäste schaffen möchte, sondern auch eine Lebensader fürs Tal sein will. Du kannst hier im Bistro einen Kaffe nehmen, im historischen Arvensaal von 1926 zu Mittag essen oder auch Konzerte und Lesungen besuchen.

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Weiter geht's nach Guarda, dem Tagesziel. Ein Blick auf Guarda reicht, um zu verstehen, warum die Dörfer des Unterengadins Terrassendörfer genannt werden: Der Sonne zugewandt stapeln sich die Häuser Guardas am Berghang. Seit Jahrhunderten von großen Bränden verschont, ist es eines der besterhaltenen Dörfer der Region. Reich verzierte Fassaden reihen sich aneinander, stets zum Brunnen hin ausgerichtet, dem einstmaligen Mittelpunkt des Dorflebens.

Neben seiner Schönheit ist Guarda auch über die Grenzen der Schweiz hinaus bekannt als Schauplatz des Kinderbuches Schellen-Ursli. Die Geschichte eines Jungen, der beim jährlichen Chalandamarz-Umzug – immer noch ein kultureller Höhepunkt im Kalender der Region – unbedingt die größte Glocke tragen wollte. Wenn du dazu mehr erfahren willst, kannst du das Schellen-Ursli-Museum besuchen.

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Die Engadiner Dolomiten – von Guarda nach Ardez

Am nächsten Morgen Küsst die Sonne die Gipfel der Sesvennagruppe – nicht zu Unrecht auch Engadiner Dolomiten genannt – ein beeindruckendes, hochalpines Panorama, das dich die ganze Etappe begleitet. Besonders pittoresk ist die Silhouette des kleinen Dorfes Ardez, mit dem einsamen Turm der Burgruine Steinsberg vor der Kulisse der mächtigen Berge.

Walter Schmid, ein Herzblut-Bergler und Fremdenführer in Ardez, nennt seinen Wohnort „das schönste Dorf der Welt“. Das liegt nicht nur an den reich verzierten und bemalten Häuser oder seiner seiner Bilderbuchlage-Lage im Tal, sondern auch daran, dass Ardez ein lebendiges Dorf geblieben ist. Es gibt noch immer eine Poststation, einen Dorfladen, eine Schule und sogar einen kleinen Skilift, den die Eltern des Ortes für ihre Kinder erhalten.

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Schmid erzählt gerne die Geschichte, warum die Menschen im Engadin in einem so wunderschönen Tal leben dürfen und verortet den Grund dafür direkt in der Schöpfungsgeschichte: „Als Gott die Menschen geschaffen hatte, gab er jedem Volk ein eigenes Tal. Doch das allerschönste behielt er für sich. Als die Engadiner sich beschwerten, weil er sie vergessen hatte, löste er das Problem ganz unkompliziert: ‚Ihr könnt fortan meines haben, und ich werde hoch oben im Himmel wohnen.‘

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Immer entlang des Berghangs – von Ardez nach Scuol

Auf der dritten Etappe von Ardez nach Scuol führt der Weg hinauf zur Ruine der historischen Säumerstation Chanoua, wo in früher Waren gelagert wurden. Kurz hinter der Ruine erreichst du den höchsten Punkt des Tages. Von hier kann dein Blick kann entlang kleiner Bächlein, die sich wie Linien in der Schneedecke abzeichnen, bis hin zum Hügel des Schlosses Tarasp schweifen.

Von hier verläuft der Weg kurzzeitig entlang der Straße bis zum Dorf Ftan und schlängelt sich dann entspannt über schneebedeckte Wiesen hinab nach Scuol. Scuol ist der größte Ort entlang der winterlichen Via Engiadina. Hier gibt es viele Geschäfte, Boutiquen und Cafés und es ist winters wie sommers der Ausgangspunkt für Outdoor-Urlaub in der Region. Im Mineralbad Bogn Engiadina, kannst du deine müden Beine im warmen Wasser der über 20 Mineralquellen der Region baden können.

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Ein letzter Aufstieg – von Scuol bis nach Sent

Du kannst deine Tour in Scoul beenden oder erholt zur letzte und wohl aussichtsreichste Etappe der Tour starten. Mit der Gondelbahn geht es von Scuol hinauf nach Motta Naluns, wo der Höhenwanderweg beginnt, der direkt durch das Skigebiet führt. Hier ist es schwer sich zu entscheiden, ob du lieber die vorbei sausende Skifahrer oder umliegenden Gipfeln bewundern möchtest. Eine wunderbare letzte Einkehrmöglichkeit bietet das Restorant Vastur. Der Betreiber Edwin Lehmann erzählt schmunzelnd: „Früher hatten wir hier oben Tiere – was sollte man sonst auch machen, dachten wir damals!“

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Eines Tages hatte er die Idee, seine Alm für Sommergäste zu öfnen. Heute hat das Restaurant das ganze Jahr geöffnet, und Lehmann freut sich besonders über die vielen Stammgäste, die die herzliche Atmosphäre der Hütte schätzen. Auf der Terrasse, eingekuschelt in Schaffelle und mit einem heißen Getränk in den Händen, kannst du ein letztes Mal die Sonnenstrahlen und die Ruhe hoch oben über dem Unterengadiner Inntal egneißen. Danach geht es auf die schwungvolle Schlussetappe: eine fünf Kilometer lange Rodelfahrt hinab nach Sent.

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