Ist Wien wirklich die unfreundlichste Stadt der Welt? 

© Lilli Wermuth

Wien, Wien, nur du alleine – bist die lebenswerteste Stadt der Welt. Das mag in Deutschland zwar nicht so bekannt sein, in Wien weiß aber jede*r um sein Glück. Die meisten Wiener*innen kennen nämlich die Mercer-Studie, in der Wien seit Jahren Top-Platzierungen erreicht – 2023 wurde die österreichische Hauptstadt zum vierten Mal innerhalb von sechs Jahren zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt. Ein völlig gegensätzliches Ranking, auf das die Wiener*innen seltsamerweise nicht weniger stolz sind, ist erst kürzlich erschienen. Im Expat City Ranking haben „Zugezogene“ Wien zur unfreundlichsten Stadt der Welt gewählt.

Obwohl die Alpenmetropole auch in diesem Ranking viele Punkte in den Bereichen Lebensqualität, „Reisen und Transportwesen“ und „Gesundheit und Wohlbefinden“ bekommt, landet sie in puncto „Eingewöhnung“ auf dem letzten Platz. Mehr als die Hälfte der Befragten gibt an, dass es ihnen schwerfällt, sich mit Einheimischen anzufreunden, was zu Unzufriedenheit im Sozialleben führt. Ist Wien wirklich so unfreundlich? Als Expat-Wienerin bin ich zwar nicht stolz auf das Ranking, aber auch nicht schockiert.

Aber beim Urlaub in Österreich ist es doch immer so nett?!

Denn obwohl vor allem deutsche Urlauber*innen die Österreicher*innen ganz generell häufig als unglaublich herzlich empfinden, lässt sich diese überschwängliche Begeisterung schnell als kulturelles Kommunikationsmissverständnis enttarnen. Österreicher*innen sind ganz einfach weniger direkt, als es in Deutschland üblich ist, eigentlich Unhöfliches wird dicker in Watte verpackt und kommt dadurch entzückend herzlich daher. Bitten werden etwa häufig in Fragen umformuliert. Statt in der U-Bahn dem*der im Weg Stehenden zu sagen, dass man aussteigen müsse, fragt man etwa: “Steigen Sie aus?”

Österreicher*innen sind ganz einfach weniger direkt, als es in Deutschland üblich ist, eigentlich Unhöfliches wird dicker in Watte verpackt und kommt dadurch entzückend herzlich daher.

Auch in Bezug auf Corona-Masken-Regeln in den öffentlichen Verkehrsmitteln habe ich in Wien eine bezeichnende Herangehensweise bemerkt. Wenn sich in Berlin Menschen daran gestört haben, dass jemand seine Maske nicht (richtig) trägt, sprechen sie die betreffende Person relativ direkt darauf an. In Wien aber wurde stattdessen laut darüber geredet, wie sehr einen so etwas stören würde. Höflichkeitsfloskeln sind in Österreich ein Muss im Gespräch und der Verzicht darauf beziehungsweise das schnelle zum Punkt kommen eher eine deutsche Eigenheit.

Wer als Expat etwas länger in Wien lebt, dem wird die rosarote Brille geputzt und erkennt, welche Aufforderungen und Suggestionen hinter vermeintlich höflichen Fragen stehen. Außerdem wissen die Österreicher*innen um den Wert des Tourismus in der Alpenrepublik und setzen alles daran, dass (vor allem der wertvolle deutsche) Gast eine gute Zeit hat – auch wenn es bedeutet, dass Gespräche im touristischen Kontext, etwa zwischen Wirt*in und Gästen, oft nicht auf Augenhöhe stattfinden und die Laune da vielleicht als ein Ticken besser dargestellt wird, als sie eigentlich ist. Wenn sich ein*e Wirt*in nach dem Essen noch nett für ein paar “Stamperl” mit Gästen zusammensetzt, ist das für die Besucher*innen zwar nett, für das Familienleben der Einheimischen aber oftmals eine Belastung.

Wilder Kaiser, Kaisergebirge
© Björn Wisnewski

Wien aber ist da nochmal ein ganz besonderes Pflaster. Denn der Wiener Grant, den man mit “mosern” übersetzen könnte, ist eine der Hauptzutaten des Wiener Charmes. Raunzen, und da spreche ich aus eigener Erfahrung, ist hier nicht etwa nur das zum Ausdruck bringen einer Irritation, sondern eine eigene Form des Humors. Vielleicht sogar eine Art der Gegenwartsbewältigung. Raunzen bezieht sich nicht unbedingt auf einen Menschen.

In Wien spricht man aus, wenn es einen nervt, dass die Straßenbahn zu spät kommt oder der Kaffeeschaum nicht fluffig genug ist und erklärt dann in aller Breite, warum das so ist. Wahrscheinlich ist es diese Freude am Verbreiten schlechter Laune in Wien, die viele Expats irritiert. Wer aus dem Blauen heraus als „Depperter“ bezeichnet wird, oder sich „schleichen soll", dürfte Wien nicht mehr als freundliche Stadt wahrnehmen.

Oder doch? Ich habe mich in meiner Heimatstadt umgehört und Menschen befragt, die nach Wien gezogen sind.

So ist es als Zugezogene*r in Wien

Ludocio aus Italien war überrascht, als er von dem Ranking gehört hat. Seine persönliche Erfahrung in der Stadt sei das absolute Gegenteil gewesen, erzählt er. „Mein erster Kontakt mit der Stadt war alles außer unfreundlich. Wiener*innen, die ich hier kennengelernt habe, haben mich sogar direkt in ihre Freund*innengruppen aufgenommen. Ich habe mich also nie ausgeschlossen oder unfreundlich behandelt gefühlt. Ich stimme der Studie überhaupt nicht zu.“ Sophie aus Niederbayern findet nicht, dass Wien anders wegkommt als andere große Städte, in denen sie bis jetzt war. Sie erzählt von ihrem Papa, der oft mit Rollstuhl und Gehstock in der Stadt unterwegs ist und die Menschen in Wien immer sehr zuvorkommend und hilfsbereit findet – vor allem in Kontrast zu München.

Wahrscheinlich ist es diese Freude am Verbreiten schlechter Laune in Wien, die viele Expats irritiert.

Rudi aus Bayern sieht das anders: „Also ich würde sagen, dass die Menschen in Wien definitiv unfreundlicher sind als in vielen anderen europäischen Städten und in nicht-europäischen Städten sowieso. Dazu muss ich jedoch sagen, dass ich selbst aus Bayern komme und die Menschen dort grundsätzlich nicht wirklich freundlicher sind als in Wien.“ Die Studentin Maria aus Italien erzählt von ihrer Erfahrung in Wien: „Ich glaube nicht, dass Wiener die unfreundlichsten Menschen sind, die ich je getroffen habe. Meiner Erfahrung nach brauchen sie nur mehr Zeit, um sich zu öffnen und dir zu vertrauen. Der größte Unterschied ist meiner Meinung nach, dass es sich oft so anfühlt, als ob sie sich keine Mühe machen, ihre Kommilitonen kennenzulernen.“

Wien
© Marit Blossey

Das sagt die Wienerin

In Wien bemerke ich vor allem in der Generation meiner Eltern, dass viele Freund*innengruppen sich ausschließlich aus Ur-Wiener*innen zusammensetzen. Selbst Zugezogene aus „den Bundesländern“ – wie der Rest Österreichs in Wien mit einer Mischung aus Charme und Arroganz genannt wird – sind oft vor allem mit anderen Nicht-Wiener*innen befreundet. Das spricht nicht besonders für die Kontaktfreudigkeit der Hauptstadtbewohner*innen.

Ich kann nachvollziehen, warum Expats es in Wien schwer haben könnten. Besonders im Vergleich zu Berlin fällt mir zudem immer wieder auf, wie konservativ Wien ist – auch in Bezug auf Menschen, die aus dem Ausland in die Stadt kommen. Vor allem Deutsche haben es in Wien vermutlich nicht so leicht wie ich umgekehrt als Wienerin in Deutschland. Denn der große Nachbar wird von vielen Österreicher*innen als Lieblingsfeind gesehen, Sticheleien und die Konfrontation mit Klischees sind da wohl an der Tagesordnung. Allzu sehr scheint das die Deutschen aber nicht zu stören, mit 54.100 sind sie laut einer Berechnung von Statista nach Serb*innen die größte Gruppe von Ausländern in Wien. 

Neben dem Zugeständnis, dass in Wien durchaus eine Spur von Ausländerfeindlichkeit mitschwingt, hoffe ich auf der anderen Seite, dass der Wiener Grant nicht missverstanden wird. Immerhin ist Raunzen ein großer Teil dessen, was Wien ausmacht und sollte nicht (nur) als Unhöflichkeit, sondern einfach als viennese way of living gesehen werden.

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