Wird mit einer Bettenobergrenze in Südtirol nachhaltiger Tourismus gefördert?
Wer Urlaub in den Alpen macht, sucht neben einem schönen Bergpanorama auch Ruhe, Platz und das Gefühl, dem Trubel der Stadt zu entfliehen. Das Problem: Immer mehr Urlauber*innen haben dieses Bedürfnis: Auf Wanderwegen fühlt man sich dann eher wie auf der Autobahn zu Rush Hour und Almen müssen monatelang im Voraus gebucht werden, weil alle Betten belegt sind. Overtourism war in der Vergangenheit eher etwas, das wir mit Städten wie Barcelona und Venedig in Verbindung gebracht haben. Nun will Südtirol als erste Region in den Alpen dagegen vorgehen.
Nachdem von Politiker*innen lange darüber diskutiert worden ist, wie Tourismus in Südtirol nachhaltiger gestaltet werden kann, wurde kürzlich per Gesetz eine Bettenobergrenze eingeführt. Dabei wurde die maximale Bettenzahl auf den Wert von 2019 festgesetzt. Das heißt konkret: Seit Anfang August dürfen nicht mehr als 239.088 Betten von Urlauber*innen belegt sein. 229.088 davon sind schon seit Sommer 2019 in Betrieb, für 10.000 weitere wurden seitdem Rechte erworben.
239.088 Betten in Südtirol, 150 pro Unterkunft
Gemeinden dürfen nun also keine neuen Betten mehr genehmigen. Dadurch betrifft das Gesetz nicht nur große Hotels, sondern auch kleinere Pensionen und Privatzimmervermietungen. Auch in den Betrieben selbst gilt nun eine Obergrenze. Höchstens 150 Betten dürfen pro Unterkunft angeboten werden. Eine Ausnahme aber gibt es: Bauernhof-Unterkünfte werden künftig mit einem Siegel versehen, das sie von der Regelung ausnimmt. Alle Hotels, die derzeit in Bau sind und die Genehmigung für die Betten schon erhalten haben, können ihre Pläne aber weiterhin umsetzen. Unmittelbar betroffen sind nur Anbieter*innen, die einen Ausbau geplant , die neuen Betten aber noch nicht beantragt haben. Langfristig dürfte das Gesetz daher durchaus Auswirkungen auf die Vergrößerungspläne der Hoteliers haben.
Erlassen wurde das Gesetz, um nachhaltigen Tourismus zu fördern, Touristiker*innen vor Ort sehen dies aber teilweise kritisch. Der Hoteliers- und Gastwirteverband HGV kritisierte die Maßnahme schon im Vorfeld heftig. Größte Bedenken habe man besonders bei der Betriebsnachfolge, weil der jungen Generation bei der Übernahme durch die neue Regelung die Hände gebunden seien. Ein gänzlich neues Hotel zu bauen, wird in der Region nun unmöglich. Wir haben bei zwei Hotels in der Region nachgefragt, welche Chancen und Risiken für sie mit dem Gesetz verbunden sind.
Der wirtschaftlichen Weiterentwicklung der Region wird ein Riegel vorgeschoben
Das Boutique-Hotel Villa Arnica in Lana sieht sich im Moment nicht unmittelbar von dem neuen Gesetz betroffen, da es bereits vor einem Jahrzehnt erweitert habe. „Wäre der Bettenstopp allerdings vor 10 Jahren gekommen, würde es unser Unternehmen wahrscheinlich nicht geben, da die notwendige Weiterentwicklung des Betriebes nicht zulässig gewesen wäre“, erzählt Hotelier Klaus Dissertori. Denn durch das Gesetz würden einige Betriebe aus wirtschaftlicher Sicht gezwungenermaßen nicht mehr weitergeführt werden können und die Nachfolger hätten es schwer, den Betrieb zu verändern. „Ich finde es sehr schade, dass dadurch viele junge Unternehmer keine Chance haben, sich zu entwickeln.“
Auch das Lindenhof Pure Luxury & Spa Resort in Naturns muss aktuell wegen des neuen Gesetzes keine Pläne streichen. Denn im kleinen Ort Naturns, westlich von Meran, gilt pro Betrieb bereits eine Zimmerobergrenze von 80. Besonders ist allerdings, dass Hotelbesitzer Joachim Nischler das Fünf-Sterne-Wellnesshotel gemeinsam mit seinen Töchtern Chiara und Emma Nischler führt, der nächsten Generation also, die laut Hoteliers- und Gastwirteverband HGV unter der neuen Regelung weniger Raum zur Weiterentwicklung haben wird. Die Wunschgröße, so heißt es aus dem Hotel, habe man aber bereits erreicht.
Gibt es in Südtirol überhaupt Overtourism?
Das Gesetz soll Overtourism in Südtirol bekämpfen, doch Klaus Dissertori von der Villa Arnica findet nicht, dass man in der Region überhaupt davon sprechen kann. Denn obwohl in bestimmten Zeiten durchaus viel los sei, sei das nicht ausschließlich auf den Tourismus zurückzuführen, sondern auch auf die Einwohner*innen, die das Auto für „jede kleine Strecke“ nutzen würden. Er fordert daher "weiterentwickelte und zukunftsweisende Infrastrukturen" wie Fahrradwege, eine S-Bahn und eine Verbesserung der Zugstrecke Bozen-Meran. Denn: "Der Verkehr wächst Jahr für Jahr und die Straßen bleiben gleich und an Alternativen wird zu wenig gedacht."
Das Gesetz wird aber nicht nur kritisch gesehen: Für die Nischlers vom Lindenhof Pure Luxury & Spa Resort ist klar, dass gewisse Orte und Sehenswürdigkeiten in Südtirol geschützt werden sollen. „Wir sind der Meinung, dass es keine neuen Betriebe auf grüner Wiese braucht. Bestehende Betriebe sollen aber schon die Möglichkeit haben, gesund zu schrumpfen oder gesund zu wachsen."
In beiden Betrieben ist man sich also einig, dass nachhaltig gestalteter Tourismus in Südtirol gefördert werden muss. Ob die Bettenobergrenze der richtige Schritt auf dem Weg dahin ist, wird zumindest in Frage gestellt.