Kann die Digitalisierung nachhaltigen Tourismus fördern?

© Vladimir Kudinov | Unsplash

In unserer Reihe "Future Travel" beantworten wir spannende Fragen zum Thema Nachhaltigkeit im Tourismus und wie wir in Zukunft reisen werden. Kann Massentourismus nachhaltig sein? Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf unser Reiseverhalten? Worauf sollte man bei der Kompensation des Urlaubs achten? Welche alternativen Reisemodelle gibt es? Hast du selbst eine interessante Frage zum Thema? Dann schreib uns an [email protected].

Digitalisierung & Tourismus

Wenn wir unsere Eltern fragen, wie sie vor 20 Jahren ihren Urlaub gebucht haben, dann werden sie uns vermutlich von ihren Besuchen im Reisebüro erzählen. Das lief ungefähr so: Zunächst wurde ein Termin vereinbart, dann konnte man sich Hunderte von dicken Reisebroschüren auf Hochglanzpapier in Farbdruck ansehen und mit nach Hause nehmen, bis man sich nach einigen Tagen für ein Ziel und eine Route entschieden hat. Die Mitarbeiter*innen im Reisebüro haben die Anbieter*innen vor Ort kontaktiert, Flüge, Hotels und gegebenenfalls Ausflüge organisiert – am Telefon und via Fax – und wenn man das Ganze aufgrund von Krankheit oder anderen Problemen stornieren wollte, dauert die Prozedur mindestens nochmal genau so lang. Dieser Aufwand ist mittlerweile unvorstellbar, denn die meisten Reisebüros arbeiten heutzutage hauptsächlich online – oder werden komplett obsolet, weil wir vieles selbst buchen. 

Die Digitalisierung ist in allen Bereichen unseres Alltags gegenwärtig – und auch vor dem Tourismus macht sie nicht halt. Knapp 68 Prozent der Deutschen buchen ihre Reise mittlerweile online und was beim Self-Check-In am Flughafen anfängt, endet beim robotergesteuertem Hotel “Henn na“ in Japan, das komplett ohne menschliche Mitarbeiter*innen funktioniert. Ganz so Sci-Fi ist der Standard-Tourismus noch nicht geworden und trotzdem kommen immer mehr Stationen einer Reise ohne menschlichen Kontakt aus. Inzwischen kann man schon vor der Reise mit Virtual Reality den eigenen Urlaubsort ganz genau erkunden. Das sind zwar extreme Beispiele und doch schreitet die digitale Entwicklung immer weiter voran.

Kann unser Reiseverhalten durch die Digitalisierung nachhaltiger werden?

Wie beginnst du deine Reiseplanung? Die meisten Menschen, wie ich auch, tippen mittlerweile einfach bei Google & Co. das Reiseziel ein und in Sekundenschnelle hast du Tausende von Informationen zur Hand. Manchmal stolpere ich auch in einem Magazin über eine spannende Reportage, aber meistens suche ich als Erstes online nach Inspiration. Auch Social-Media-Plattformen wie Instagram, TikTok und Pinterest sind als Inspirationsquellen gar nicht mehr wegzudenken. Durch die virale Verbreitung werden vormals unbekannte Orte und Geheimtipps zu Internetstars und regelrechten Tourismushochburgen – und haben plötzlich mit Overtourism zu kämpfen, dem touristischen Super-GAU. Auch ich habe beispielsweise schon mal das klassische Cinque-Terre- Urlaubsfoto gemacht.

cinque terre, italien
© Marie Detmer

Die Art, wie wir reisen, hat sich durch die Digitalisierung grundlegend verändert, Plattformen wie Booking.com, BlaBlaCar oder Airbnb sind die großen Player, digitale Bezahlsysteme machen Bezahlungen ohne Geldwechsel möglich und durch Übersetzungsprogramme können sogar Sprachbarrieren überwunden werden. Das Geschäftsmodell der Plattformen ist simpel: Sie agieren als Vermittler*innen von Dienstleistungen, Unterkünften oder Transportmitteln, ohne diese zu besitzen. So vermietet Airbnb und Booking.com zum Beispiel Unterkünfte, die ihnen gar nicht gehören. 

Probleme der Digitalisierung für kleine Unternehmen

Nachhaltigkeit bezieht sich nicht nur auf die ökologische Komponente – also auf die Auswirkung unseres Reiseverhaltens auf die Umwelt –, sondern auch auf soziale und ökonomische Faktoren. Gerade für kleinere touristische Anbieter*innen bleibt die soziale Nachhaltigkeit oft auf der Strecke. Einerseits können kleine Unternehmen durch die Digitalisierung ihre Sichtbarkeit erhöhen und haben über die eigene Webseite oder Social Media die Möglichkeit, mehr Menschen zu erreichen. Andererseits fehlt es gerade ihnen an dem gewissen Know-how oder finanziellen Mitteln, die eigene Reichweite zu erhöhen, um nicht in Tausenden von Angeboten unterzugehen.

Viele kleine Anbieter*innen wollen konkurrenzfähig bleiben, doch um auf den Plattformen vertreten zu sein, müssen sie sich den Nutzungsbedingungen der Plattformen beugen. Booking.com, eine der größten Buchungsplattformen für Unterkünfte weltweit, verlangt aktuell knapp 15 Prozent Vermittlungsgebühr. Das Perfide: Die Unternehmen durften die Zimmer auf ihrer eigenen Website nicht günstiger anbieten. Das führte dazu, dass kleine Unternehmen die eigenen Preise drücken mussten, nur um am kompetitiven Markt teilhaben zu können. Im Sommer 2021 hat der Bundesgerichtshof dann endgültig entschieden, dass das unterbunden wird- ein kleiner Schritt zu mehr sozialer Nachhaltigkeit.

Booking.com verlangt aktuell knapp 15% Vermittlungsgebühr. Das Perfide: Die Unternehmen durften die Zimmer auf ihrer eigenen Website nicht günstiger anbieten.
Raus Cabins, Brandenburg
© Lukas Popp | Milena Magerl

Für eine nachhaltige Tourismusentwicklung ist es jedoch wichtig, dass gerade kleinere, familiengeführte Hotels bestehen bleiben. Denn durch sie bleibt das Geld im eigenen Land. Und meist kannst du die Kultur eines Landes viel besser kennenlernen, wenn du nicht bei einer großen Kette buchst, deren Hotels alle gleich aussehen. Du könntest also bei deiner nächsten Reise darauf achten, nicht nur jene Unterkünfte zu buchen, die als erstes bei deiner Online-Suche auftauchen, sondern auch schauen, ob es Pensionen, B&B und kleine Hotels gibt,  die man nur telefonisch erreichen kann. Das fördert die lokale Bevölkerung und unterstützt den Erhalt von Arbeitsplätzen vor Ort.

Wie sieht die Zukunft aus?

Die Pandemie hat uns gezeigt, dass zahlreiche Geschäftsreisen durch Videokonferenzen ersetzt werden können. Geschäftsreisen machten vor der Corona-Pandemie einen Anteil von 20 Prozent des Tourismusaufkommens in Europa aus. Sie sind ein positives Beispiel dafür, wie die Digitalisierung im Tourismus eine nachhaltigere Entwicklung fördern kann, denn durch all die ausgebliebenen geschäftlichen Flug- und Bahnreisen wurden Unmengen an CO₂ eingespart. Doch es gibt einen Nachteil, denn Geschäftsreisende kurbeln auch die örtliche Wirtschaft durch Hotel- und Restaurantbuchungen und den Besuch von Kulturveranstaltungen an.

Aber auch im Urlaub kannst du mit Hilfe verschiedener Apps nachhaltigere Entscheidungen treffen. Die kostenlose App FairTrip hilft dir als Reiseguide dabei, lokale und authentische Orte zu finden und zu teilen, die gleichzeitig einen positiven sozialen und wirtschaftlichen Einfluss haben. Anreisezeiten, Preise und deinen CO₂-Ausstoß kannst du mit Travelinho vergleichen. Oder du suchst mit der App und Website von HappyCow nach vegetarischen und veganen Restaurants. Auch der "One Planet Guide" von Tourism Watch gibt dir für deine nächste Reise Tipps, wie du nachhaltiger unterwegs sein kannst. 

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© Ryoji Iwata | Unsplash

Auch Echtzeitinformationen sind eine gute Möglichkeit, um Touristenströme gezielter zu leiten. Du kennst das vielleicht schon beim Checken der aktuellen Verkehrslage, die manchmal grün und manchmal rot angezeigt wird. Auch das ist im Tourismus möglich, zum Beispiel bei der Auslastung von Attraktionen – vielleicht ist dir das schon mal bei Google Maps aufgefallen. So können Menschen bei hoher Auslastung einer Attraktion mit alternativen Empfehlungen an andere Orte gelockt werden.

Die größte Chance der Digitalisierung im Tourismus ist, dass Informationen einfach online geteilt werden können und innovative, nachhaltige Ideen für jeden zugänglich sind. Für die Zukunft ist es wichtig, wenn es im Tourismus mehr Anreize für die Wahl einer nachhaltigeren Alternative gibt. In der Entdecken-Funktion auf Google Maps könnte es beispielsweise einen Filter für nachhaltige Angebote geben. 

Echtzeitinformationen sind eine gute Möglichkeit, um Touristenströme gezielter zu leiten. So können Overtourism vermieden und Touristenströme besser verteilt werden.

Diese Funktionen sollten in Zukunft noch ausgebaut werden, damit Overtourism vermieden und Touristenströme besser verteilt werden können. Für viele Anwohner*innen würde das die Akzeptanz des Tourismus fördern und die eigene Stadt wieder lebenswerter gestalten. Noch steckt die Digitalisierung im Tourismus in den Kinderschuhen und trotzdem kannst du jetzt schon etwas für mehr Nachhaltigkeit tun, fernab der klassischen Reiseportale nach einer nachhaltigen Unterkunft suchen oder beim Sightseeing genau darauf achten, dass du kleine Unternehmen durch einen Besuch und eine Online-Bewertung unterstützt.

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