Mit dem Nightjet von Wien nach Berlin: Warum eine Fahrt mit dem Nachtzug nicht immer angenehm ist

© Sonja Koller

Von Wien nach Berlin und andersherum fährt ein Nachtzug, den ich eigentlich schon sehr gut kenne. Verbindet er doch die Städte, die beide für mich Heimat sind, in unter 12 Stunden, von denen man die meisten schlafend verbringen kann. Bisher hat das allerdings nicht immer so gut geklappt. Da nicht nur ich den Zug besonders praktisch finde, sind die Tickets für die Schlafwaggons oftmals relativ teuer oder gar ausverkauft. So habe ich mir schon einige Nächte im Sitzwagen um die Ohren geschlagen und dort jede erdenkliche Schlafposition auf den Sesseln ausprobiert. Diese Variante ist zwar vergleichsweise günstig und im Vergleich zum Fliegen natürlich klimafreundlicher, noch dazu verliert man keinen ganzen Anreisetag. Trotzdem bin ich meistens schlaftrunken aus dem Zug gewankt und musste direkt zum mehrstündigen Mittagsschlaf ins nächste Bett fallen. 

Eigentlich bin ich riesiger Fan von Nachtzugfahrten, nach meiner letzten von Wien nach Berlin muss ich meine Liebe aber überdenken. Ich habe mir nämlich ein Upgrade zu einem Liegewagen gegönnt, von dem ich hoffte, dass er mir mehr Komfort verschaffen würde. Als ich kurz nach 22 Uhr voller Vorfreude auf eine entspannte Nacht in Wien einsteige, muss ich aber feststellen, dass die Abteile viel kleiner sind, als gedacht. Und: Neben allen Betten und Gliedmaßen müssen nun auch gigantische Gepäckstücke untergebracht werden. Denn Urlauber*innen, die mit der Bahn unterwegs sind, müssen nichts für ihr Gepäck zahlen. Und so stellt sich in diesem Abteil gleich nach der Abfahrt in Wien die Frage, wohin mit den zahlreichen Koffern, aus denen man sicher ein paar Wochen leben könnte. Auf den Gang können sie nicht, denn der ist so schmal, dass es schon schwierig wird, wenn zwei Personen gleichzeitig ihre Position wechseln wollen. Ein oder zwei Rucksäcke oder kleinere Koffer können an den Kopfenden der oberen Betten verstaut werden, dünnes Gepäck passt unter die Betten.

Teambuilding auf fünf Quadratmetern

Eigentlich habe ich mit meiner Kabinen-Crew Glück: Denn in den Kabinen neben mir verschwinden teilweise streng riechende Jugendliche mit brummenden Boom-Boxen und mit Bier bewaffnete Rentner*innengruppen, deren Gemütslage und Lautstärke mich an eine Klassenfahrt erinnert. Ich teile mir ab Wien die mir zugewiesenen Quadratmeter mit zwei Männern zwischen 30 und 50 und einer Mutter mit Kind. Statt sechs Personen sind wir also größentechnisch nur viereinhalb. Jeder Zentimeter zählt. Ob noch eine Person bei einer späteren Station dazukommt, kann uns der Schaffner nicht sagen, der bereits jetzt den Überblick verloren zu haben scheint.

Gut, dass die unteren Betten von der müden Mutter mit Kind gebucht sind, so können wir unser Bettenlager direkt nach der Abfahrt aufschlagen. Mir wurde das mittlere Bett zugeteilt, aber wenn ein Bett erstmal ausgeklappt ist, kann die Person darunter nicht mehr sitzen, sodass sich alle drei übereinander schlafenden Personen einig sein müssen, wann sie sich in die Waagerechte bewegen. Liegt man erstmal, gibt es kein Zurück mehr. Das wird mir am Morgen schmerzlich klar. Vorerst aber sehen wir uns mit einer etwas unhygienischen Untergrund konfrontiert. Polster, Decke oder gar ein Leintuch finden wir erst, als wir auf die obersten Betten klettern und dort in einer Ecke alle Utensilien finden. Erinnert an eine Schnitzeljagd und stärkt zumindest den Teamspirit in der Gruppe.

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© Marit Blossey

Im Nachtzug am besten die Augen wieder zudrücken

Mit Kopfhörern in den Ohren und einem leise laufenden Podcast kann ich gut einschlafen und lasse mich auch von dem lauten Schnarchen von oben nicht irritieren. Dass ich einigermaßen gut ausgeschlafen schon um acht Uhr aufwache, ist aber gar nicht so angenehm, wie am Abend davor gedacht. Denn ich kann mich erst hinsetzen, wenn meine Bettnachbar*innen ihre Liegepositionen verlassen und die Betten wieder hoch klappen. Lesen kann ich in der Position auch nicht, dafür ist der Platz so eng, dass ich das Buch wenige Zentimeter vor meinem Gesicht halten müsste. Handyempfang gibt es auch keinen und so verziehe ich mich aus der Kabine. Doch weil der Zug von Freitag auf Samstag natürlich auch im Sitzabteil gut besucht und gebucht ist, gibt es dort keinen Platz für mich. So stelle ich mich in den Gang vor meine Kabine und lese mein Buch dort, während ich einige Mitfahrer*innen, die wie ich nicht mehr schlafen können, näher kennenlerne. Zumindest körperlich.

Nachdem ich die Toiletten inspiziere, von denen es zwei für die ungefähr 60 Passagier*innen hier gibt, verzichte ich darauf, mir die Zähne zu putzen, denn: Die Klospülung reagiert nicht. Bei 60 Personen und 12 Stunden sorgt das für Zustände, die ich hier in Europa in keinem Zug mehr erwartet hätte. Die Toilette ist komplett überflutet, wer sie betritt, steht im Wasser.

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© Sonja Koller

Um 9 Uhr wird Frühstück serviert, eine eigentlich willkommene Abwechslung zu der desaströsen Situation. Es gibt eine Semmel mit Butter und Marmelade und keine Möglichkeit, um sie zu bestreichen. Auf dem Gang kann ich das Tablett nirgends abstellen, in meinem „Bett“ habe ich ja auch keinen Platz. Beflügelt davon, etwas zu tun zu haben, überlege ich lange, wie ich das Problem lösen kann und entschließe mich letztendlich dazu, die Semmel pur zu essen, weil es einfach keinen Ort gibt, wo ich sie würdevoll bestreichen könnte.

Ein Nachtzug ohne Ziel

Wann und wo diese Fahrt ein Ende hat, ist unklar. Denn obwohl am Bahnsteig in Wien eigentlich der Zug nach Berlin-Charlottenburg angekündigt wurde, kommen Gerüchte auf, dass der Zug dort gar nicht hält. Meine Zimmergenoss*innen und ich konnten nur Tickets nach Lichtenberg buchen, was ich für einen ungewöhnlichen Endbahnhof für eine Nachtzugfahrt durch den halben Kontinent halte. Der Schaffner vertröstet uns auf die Kollegen in Frankfurt/Oder, die ihm mitteilen würden, wo es danach hingeht. Auf dem Display im Zug steht, dass wir am Hauptbahnhof und Lehrter Bahnhof halten, was mich die Aktualität der Schilder hinterfragen lässt. „Wo würde es für Sie denn passen?“, fragt mich der Schaffner nett und scheint es tatsächlich ernst zu meinen. Darf ich jetzt wählen, wo der Zug anhält? Ich schlage Gesundbrunnen oder Hauptbahnhof vor. Gesundbrunnen sei ok, Hauptbahnhof nicht gut, sagt er, denn da „gäbe es gerade eine Baustelle“. Dass trotzdem eine zweistellige Anzahl an Gleisen befahrbar und der Hauptbahnhof natürlich nicht komplett gesperrt ist, behalte ich mal für mich. So rollen wir um 9.30 Uhr von Frankfurt/Oder weiter und wissen immer noch nicht, wo der Zug als Nächstes halten wird.

Im Nachbarabteil ist die Stimmung schon am Vorabend wegen des klebrigen Bodens gekippt, bei uns passiert es jetzt, 90 Kilometer vor Berlin. Die 3,5 Wiener*innen in meinem Abteil rufen Verwandte und Freund*innen in Berlin an und können noch immer keine Information über den Ankunftsort oder Zeitpunkt weitergeben. Mit einer halben Stunde Verspätung hält der Nightjet nach “Berlin-Charlottenburg” um 10.30 Uhr schließlich in Gesundbrunnen. Ob es auf meinen Wunsch geschieht, weiß ich nicht. Ich gebe meinen Mitreisenden noch Tipps, wie sie zu ihrer Endhaltestelle kommen und mache mich auf den Weg nach Hause, um wie gewohnt einen Mittagsschlaf nachzuschieben.

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