Mit dem Segelschiff Tres Hombres über den Atlantik – So geht nachhaltiger Transport im 21. Jahrhundert

© Charlott Tornow

Verschlafen klettere ich die steile Holztreppe aus der "Fuchsbau" genannten Kajüte nach oben an die frische Luft. Anstatt die Morgenluft in Ruhe aufsaugen zu können, schaue ich in fünf alte, interessierte Gesichter, die mich dabei beobachten, wie ich Wasser aus dem Tank in meine Tasse pumpe, mich auf dem Lagerraum niederlasse und meine Zähne putze. Ich sehe, wie sich jene Frage in den Köpfen der mir unbekannten Menschen formt, die wir schon ein Dutzend Mal in den letzten Tagen beantwortet haben: Was hat es mit diesem 24 Meter hohen und 32 Meter langen Segelschiff auf sich, das in dem winzigen Hafen von Gudhjem auf Bornholm steht und auf dem ich mir gerade die Zähne putze?

Alte Schiffe haben eine besondere Anziehungskraft auf Menschen, das habe ich in den letzten Tagen gelernt. Ein kleines Motorboot über einen See zu navigieren, das kann fast jeder von uns. Wir sind gewöhnt an den Anblick von riesigen Fracht- und Kreuzfahrtschiffen, die unzählige Güter und Menschen über die Weltmeere transportieren und auf mich immer wie überdimensionierte, schwimmende Wohnblocks wirken. Aber eine Zeit, in der die Eroberer des 15. und 16. Jahrhunderts auf hölzernen Segelschiffen den Atlantik oder den Pazifik überquerten, die kennen wir nur aus Büchern und Filmen. Natürlich kam auch ich beim ersten Anblick der Tres Hombres nicht mehr aus dem Staunen heraus, was aber auch vor allem daran lag, dass mir ein Trip auf dem Schiff bevorstand.

Tres Hombres, Fairtransport
© Charlott Tornow
Tres Hombres, Fairtransport
© Charlott Tornow

Mit der Tres Hombres emissionsfrei über den Atlantik segeln

Seit 2009 transportiert die Tres Hombres für den Frachtdienstleister Fairtransport traditionell hergestellte Güter wie Wein, Kaffee, Olivenöl, Rum und Kakao zwischen Europa und der Karibik und setzt dabei auf die Kraft des Windes. Das Schiff selbst ist schon viel älter und hat eine nicht minder spannende Geschichte: Es wurde 1943 in Swinemünde gebaut, war als Fischkutter, Minensuchboot und Fähre im Einsatz und wurde 2007 von Andreas Lackner, Arjen van der Veen und Jorne Langelaan im niederländischen Den Helder entdeckt. Die Drei lernten sich auf anderen Segelschiffen kennen und entwarfen die Idee für einen Frachtdienst auf See, der beweisen sollte, dass es auch im 21. Jahrhundert und in einer globalisierten, schnelllebigen Welt möglich ist, nachhaltig und emissionsfrei Waren zu transportieren. "Wenn wir durch den Kanal von Dover fahren, dann sieht man ein gelben Schleier am Horizont. Dann weiß man, warum man das macht", erzählt mir die Deutsche Rosa Haberland, die als second mate auf der Tres Hombres arbeitet und mit ihrem Satz auf die Luftverschmutzung durch die vielen Frachtschiffe anspielt, die den Kanal täglich passieren.

Wer sich auf den Weltmeeren umschaut, sieht, dass diese Art des Transports bisher keine Nachmacher gefunden hat. Um den Atlantik von Europa in die Karibik zu überqueren, benötigt die Tres Hombres knapp 3 Wochen und mindestens genauso viele zurück. In der Dominikanischen Republik sammelt die Crew beispielsweise Kakaobohnen ein, die in Amsterdam von den Chocolate Makers zu nachhaltiger Schokolade verarbeitet und später mit dem Lastenrad zu Händlern in den Niederlanden, Deutschland und Österreich gefahren wird (über die sogenannte Schokofahrt habe ich bereits in diesem Artikel berichtet). Fairtransport steht nicht für einen möglichst schnellen Transport, sondern einen möglichst umweltverträglichen – und dabei ist Zeit ein Faktor, der in diesem Business durchaus variabel ist, das lerne auch ich schnell.

Tres Hombres, Fairtransport
© Charlott Tornow
Tres Hombres, Fairtransport
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Tres Hombres, Fairtransport
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Wenn wir durch den Kanal von Dover fahren, dann sieht man ein gelben Schleier am Horizont. Dann weiß man, warum man das macht.
Rosa Haberland

Denn eigentlich wollte ich ja mitsegeln, von der dänischen Insel Bornholm bis nach Den Helder, wo auch heute noch der Heimathafen der Tres Hombres liegt. Die Crew besteht nicht nur aus der Kapitänin, dem first mate and second mate, mehreren Deckhands sowie dem Koch, sondern auch aus acht Trainees, die auf der gesamten Rundtour über den Atlantik, aber auch auf einzelnen Touren entlang der europäischen Küsten die Kunst des Segelns erlernen können. Genau das wollte ich machen – aber ein Segelschiff ist angewiesen auf Wind und der steht während meiner Zeit auf Bornholm ziemlich schlecht. "Wir haben schon viele von dieser Krankheit geheilt", sagt der Niederländer Lenno Visser, der als first mate auf dem Schiff arbeitet, in Hinblick auf die Unruhe, die sich bei mir einstellt, als klar ist, dass das Schiff sich vermutlich erst mit einer Woche Verspätung auf den Weg über die Ostsee Richtung Niederlande machen wird.

Der Hafen in Gudhjem ist einfach zu klein, um das Schiff mal eben hinaus zu manövrieren – vor allem, wenn der Wind voll auf den Hafen bläst, also keine Möglichkeit bietet, aus dem Hafen hinaus zu fahren. Das würde nur mit motorisierter Unterstützung funktionieren, aber dem Konzept der Tres Hombres widersprechen. Also warten wir, schlafen auf dem Schiff, essen zusammen Frühstück und Abendbrot, putzen uns vor interessierten Tourist*innen die Zähne und laden in der Zwischenzeit die verbliebene Fracht aus. Die kleine Bar Provianten am Gudhjemer Hafen wird zweimal jährlich von Fairtransport mit Wein aus Frankreich beliefert und ist die letzte Station, bevor das Schiff sich wieder auf den Weg über den Atlantik macht. Ich habe keine Ahnung, wie die Masse an Wein, die wir ausladen, mit Labeln versehen und zum Verkauf bereitstellen, in die kleine Bar passen soll – aber der Wein muss ja immerhin fast ein Jahr reichen und der Winter auf Bornholm kann durchaus kalt und ungemütlich werden.

Tres Hombres, Fairtransport
© Charlott Tornow
Tres Hombres, Fairtransport
© Charlott Tornow
Tres Hombres, Fairtransport
© Charlott Tornow

Mit dem verklärt romantischen Alltag eines Segeltörns hat die Arbeit auf der Tres Hombres nichts zu tun

Für die Crew ist die unerwartet lange Pause auf Bornholm eine willkommene Möglichkeit, sich fernab des anstrengenden Alltags auf See besser kennenzulernen und zu entspannen. Denn mit dem verklärt romantischen Alltag eines Segeltörns hat die Arbeit auf der Tres Hombres nichts zu tun. Gearbeitet wird am Tag in 6-Stunden-Schichten, in der Nacht in 4-Stunden-Schichten. Wer nicht arbeitet, schläft, um danach wieder fit zu sein – auch am Tag. "Man arbeitet für jeden Kilometer, den man zurücklegt", erzählt mir die französische Kapitänin Anne-Flore Gannat, denn ein Segelschiff bewegt sich nicht von selbst in die gewünschte Richtung. Als Trainee lernt man in der praktischen Anwendung diverse Fähigkeiten, die auch in einer traditionellen Segelausbildung vermittelt werden, mit besonderem Fokus auf die sogenannte Marlinspike-Seemannschaft, also den Umgang, der Handhabung und der Reparatur von Trossen, Festmachern und anderen Leinen auf dem Schiff. Dazu kommt die Vermittlung von Manöverkunde, Navigation und Wetterkunde.

"Man muss mit dem Kopf und dem Herzen voll dabei sein", sagt Gannat, Fehler könne man sich beim Segeln eines so großen Schiffs nicht erlauben. Ihr Satz trifft mich härter als erwartet. Am Mittwoch sollten wir in Gudhjem ablegen, mittlerweile ist es Samstag. Ich hab mit einer siebentägigen Verspätung nicht gerechnet, meine Tage nach der ursprünglich geplanten Ankunft in Den Helder sind durchgeplant. Würde ich mitsegeln, ich wäre weder mit dem Kopf noch mit dem Herzen dabei – ich würde an nichts anderes denken als an die Arbeit, die auf meinem Schreibtisch auf mich wartet. Letztendlich muss ich den Trip absagen, weil ich meinen eigenen Zeitplan einfach nicht einhalten könnte. Die Nervosität, die ich gespürt habe, als das Schiff in den Hafen einfuhr, ist einer Wut gewichen darüber, dass das moderne Leben, das viele von uns führen, einer Diktatur der Zeit unterworfen ist.

Tres Hombres, Fairtransport
© Charlott Tornow

Beim letzten Abendessen zusammen mit der Crew unterhalte ich mich mit der französischen Filmemacherinnen Cecile, die das Leben an Board dokumentiert. Sie sagt einen Satz, der meinem Unmut selbst den Wind aus den Segeln nimmt: "Auch wenn du nicht mitgefahren bist, ein Teil deiner Entwicklung ist, dass du hier gelernt hast zu warten." Für mich ist dieser eine Satz von unschätzbarem Wert, weil ich normalerweise unglaublich ungeduldig bin und einen festen Plan brauche. Auf Bornholm darauf gewartet zu haben, dass das Schiff endlich ablegt, war zwar nicht Teil der Trainee-Ausbildung, aber meiner persönlichen. Ein nächstes Mal wird es auf jeden Fall geben – und dann lasse ich meinen eigenen starren Zeitplan direkt in der Schublade.

Hast du jetzt Lust bekommen, als Trainee auf der Tres Hombres anzuheuern? Auf der Website findest du alle Informationen zu den bevorstehenden Routen und dem Preis für die Ausbildung.

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