Wie ist es eigentlich, als Fernbusfahrer*in zu arbeiten?

© Sonja Koller

In unserer Reihe „Wie ist es eigentlich…?“ stellen wir die Tourismusbranche aus einer anderen Perspektive vor. Wir schauen hinter die Kulissen und begleiten Menschen bei ihrer Arbeit. Wie sieht der Alltag von Fernbusfahrern aus, wie hält sich ein Liftwart warm und was machen Security-Kontrolleure am Flughafen eigentlich den ganzen Tag?

Es regnet in Tempelhof, als ich am Betriebsbahnhof ankomme. Ich muss darauf achten, den Pfützen zwischen den großen Reisebussen auszuweichen. Unbekannte Namen prangen auf manchen, vergilbte Logos auf anderen und natürlich stehen hier auch einige der altbekannten grün-orangen Fernbusse von Flixbus. An einem von ihnen, ganz hinten am Betriebsbahnhof, werkeln Andreas und Zadar. Ihr Arbeitstag beginnt heute 670 Kilometer von dem Ort entfernt, wo er enden wird: in Wien. Ich begleite die beiden Fernbusfahrer auf ihrer Schicht, die heute 13 Stunden dauern wird. 

Die Fahrt von Berlin nach Wien „will jeder“, erzählt Andreas über sein Fernbusfahrer*innen-Team. Seinen Fernbus-Führerschein hat er 2000 gemacht – er kann sich also leicht merken, dass er jetzt seit gut 22 Jahren durch Europa fährt. „Keine Strecke war mir zu weit, ich war richtig heiß drauf“, erzählt er über seine ersten Jahre hinter dem Steuer. „Man sieht viel als Fernbusfahrer.“ Für ihn bedeutete das  aber auch, seiner Oma nur telefonisch zum Geburtstag zu gratulieren, die ersten Worte seines Sohnes nur per Handy mitzuerleben, die ersten Schritte per Video.

Jede Fahrt startet in Tempelhof

Bevor die Fahrt in zwei Stunden für die Passagier*innen am Berliner ZOB beginnt, untersucht Andreas am Betriebsbahnhof die Reifen. Checkt, ob sie bei der letzten Fahrt an etwas hängen geblieben sind, untersucht Motor, Öl und Lichter. Die Strecke kennen er und Zadar, mit dem er sich heute beim Fahren abwechseln wird, in- und auswendig. Etwa hundert mal sind sie die Strecke jeweils schon gefahren, ein- bis zweimal wöchentlich sind sie in der österreichischen Hauptstadt. Die beiden Fernbusfahrer tauschen sich über die Baustellen in Berlin aus – und gehen dann die heiklen Stellen auf der Strecke durch. Vor Prag wird es kritisch, sagt Zadar voraus. Auch in Prag selbst sei es meist „sehr sehr schlimm“, besonders die Auffahrt auf den Hauptbusbahnhof beschäftigt sie schon jetzt.

Flixbus, Fernbus, Fernbusreise, Fernbusfahrer_Sonja Koller
© Sonja Koller
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Noch aber manövriert Andreas den zweistöckigen Bus gelassen über die Straßen aus dem Busbahnhof in Tempelhof raus und bis nach Charlottenburg. Erst eine Viertelstunde vor Abfahrt dürfen sie in den Omnibusbahnhof einfahren. Weil wir sicherheitshalber früh losgefahren sind, legen wir noch ohne Passagiere eine Raucherpause neben der Autobahnausfahrt ein. Dabei erzählt Andreas von seiner Lieblingsstrecke: von Berlin nach Göteborg mit der Fähre. Oft wusste er bei der Abfahrt in Berlin noch nicht, ob die Fähre wegen hohem Wellengang überhaupt fahren dürfe. So musste er immer kurzfristig entscheiden, welchen Hafen er anfahren würde. Besonders mag er aber auch Fahrten mit weniger spektakulären Zielen, wie etwa Aachen. Auf der Strecke haben sich einige Stammgäste etabliert, die jede Woche mitfahren. Man kennt sich beim Namen.

Where do you go? Erstmal Dresden

10:45: Einfahrt ZOB. An Haltestelle 28 wartet eine Menschentraube. Sie checken bei Andreas ein. Zeder fragt alle, die ihren Koffer bei ihm abgeben: „Where do you go?” Viele verstehen die Frage nicht, fragen ihn, ob er Englisch spreche: „I speak English. You go Dresden, Prag, Vienna?“ Jetzt endlich klickt es und die Koffer können richtig eingeordnet werden. 

Sprachbarrieren, so erzählt es Andreas später, gibt es nicht nur hier. „Wenn wir zum Beispiel in Dresden einen kurzen Zwischenstopp zum Zu- und Ausstieg machen, können Gäste nicht auf die andere Straßenseite gehen, um sich einen Kaffee zu holen. Das kann man ganz oft den Leuten sprachlich nicht klar machen.“ Täglich passiert es auf einer der Flixbusstrecken europaweit, dass jemand verloren geht. Die Busfahrer*innen kennen das Problem, sagen auf mehreren Sprachen durch, wenn es bei Stationen keinen Aufenthalt gibt.

Flixbus, Fernbus, Fernbusreise, Fernbusfahrer_Sonja Koller
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Auch Andreas’ Stimme schallt jetzt durch den Bus. Er begrüßt die Gäste und bittet darum, sich anzuschnallen. Ich kann kein Klicken eines einrastenden Gurtes vernehmen. Die Fahrt nach Dresden verläuft ereignislos. Obwohl Andreas und Zadar auf so gut wie jeder ihrer Fahrten mit Zielen südlich von Berlin durch Dresden fahren, mag Zadar die Stadt nicht. „Der Verkehr ist schlimm. Aber die Leute sind lustig drauf. Man merkt schon, mit wem man scherzen kann und mit wem nicht.“

Fernbusfahrer*in werden

Hinter Dresden übergibt Andreas Zadar das Steuer, setzt sich hinter die Kaffeemaschine, die er für die Fahrt mitgenommen hat, und hat Zeit, entspannt aus dem Nähkästchen zu plaudern. Wir beginnen ganz am Anfang seiner Karriere bei seinem Schülerpraktikum, das er in der Werkstatt eines großen Busunternehmens gemacht hat. Nach der Lehre landete er im Ersatzteillager. Als die Firma schließlich den Betrieb einstellt und ihm eine Abfindung zahlt, ist es Zeit, sich seinen Traum zu erfüllen. „Da habe ich mir gedacht: Machst du von dem Geld einen Busführerschein und fährst in die große weite Welt."

Flixbus, Fernbus, Fernbusreise, Fernbusfahrer_Sonja Koller
© Sonja Koller
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Schon, als er nach bestandener Prüfung zurück zur Fahrschule fährt, wird er engagiert und fährt seit dem darauffolgenden Tag mit dem Fernbus durch Europa. Er erzählt von Reisegruppen, mit denen er abends eine Schorle Wein trinkt und von der Fußball-WM 2006, wo er nach der Fahrt zum letzten Spiel in Berlin als Dankeschön eine Karte fürs Finale geschenkt bekommen hat. Er berichtet von Omas Blechkuchen, den er im Bus verteilt und einem alten Kollegen aus der Wiener Neustadt, den er auf der ITB am Messegelände in Berlin überraschend wieder getroffen und dem er drei Tage lang Berlin gezeigt hat.

Wer heute als Fernbusfahrer*in durch Europa reisen will, kann mit dem entsprechenden Führerschein bei Unternehmen wie dem, bei dem Andreas und Zadar beschäftigt sind, ein Praktikum absolvieren. Sie sind eines von vielen Unternehmen, die Flixbusse fahren. Was viele nicht wissen: Das große deutsche Unternehmen betreibt lediglich die Webseite, schreibt Fahrpläne und kümmert sich um den Ticketverkauf, die Busse selbst gehören Partnerunternehmen.

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„So ein Bus lässt sich heute kinderleicht bedienen“, erzählt Andreas. „Anfahren und Schalten übernimmt der Computer. Wir haben alles von Anfahrtsregler über Notfall-Bremsassistent bis hin zu einem Spurhalteassistent. Die machen es einfach, einen Bus zu bewegen. Aber zum Beispiel in den ZOB rein und raus und in Dresden unterwegs sein – das muss man können. Wie fährst du um eine Kurve? Da gehört Erfahrung und Talent dazu.“ Zusätzlich müssen Busfahrer*innen alle fünf Jahre die Gültigkeit ihrer Fahrerlaubnis verlängern. Das dauert mindestens 35 Weiterbildungsstunden und kostet zwischen 400 und 500 Euro. Darüber hinaus veranstaltet FlixBus in DACH zweimal jährlich Weiterbildungen und Fahrsicherheitstrainings.

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„Als Busfahrer fährst du nicht nur, sondern bist auch Manager für alles, was im Bus passiert.“

Der Bus wird langsamer und Zadar fährt rechts ran. Wir haben die deutsch-tschechische Grenze überquert und das muss im Tachographen händisch vermerkt werden. Als der Bus wieder ins Rollen kommt, wird sich entscheiden, wann wir heute wirklich in Wien ankommen. Wenn der Bus hier von der Grenzpolizei rausgezogen wird, kann das gut eine halbe bis Dreiviertelstunde dauern. „Das holst du nicht mehr rein", sagt Andreas. 

Mindestens einmal pro Woche wird der Bus auf der Strecke kontrolliert und in etwa zehn Prozent der Fälle, so schätzt Andreas, werden dabei auch Passagier*innen von der Polizei mitgenommen, weil ihre Ausweispapiere Fragen aufwerfen oder illegale Substanzen im Gepäck vermutet werden. Für den Grenzübergang ist außerdem die Buchungsliste maßgeblich. Deswegen müssen Andreas und Zadar beim Check-in kontrollieren, ob Buchungsnamen und jene auf den Ausweisen übereinstimmen. „Als Busfahrer fährst du nicht nur, sondern bist auch Manager für alles, was im Bus passiert“, so Andreas.

Drama in Prag

Wie vorausgesagt stockt der Verkehr kurz vor der tschechischen Hauptstadt, zumindest eine kleine Verspätung ist uns sicher. Andreas erzählt: „Du hast einen Fahrplan, Strecke, Pläne und Stopps. Das ist keine große Herausforderung. Herausfordernd ist es immer nur dann, wenn etwas anders läuft, als geplant. Man muss sich oft um Probleme kümmern, die gar nicht die eigenen sind.“ Was das konkret bedeutet, wird auch auf dieser Fahrt sichtbar. Wir fahren in den Prager Busbahnhof Florenc ein und wieder macht Andreas auf Deutsch und Englisch darauf aufmerksam, dass hier nur schnell Fahrgäste aus- und einsteigen. Als der Bus wenige Minuten später aus dem Bahnhof ruckelt, bittet ihn eine aufgelöste Frau, auf ihren Mann zu warten, der sich im Bahnhof einen Kaffee geholt habe. Hier, auf offener Straße im wuseligen Prag, ist das aber unmöglich. Der Mann soll sich ein Taxi nehmen und zur nächsten Station am Hauptbahnhof kommen, rät Andreas.

Flixbus, Fernbus, Fernbusreise, Fernbusfahrer_Sonja Koller
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Dort beginnt das große Warten. Nachdem alle Passagier*innen zugestiegen sind, gibt Andreas dem Mann fünf Minuten, um aus dem Verkehr aufzutauchen. Es werden zehn, bald 15, als die Fahrer der Frau die Wahl geben, auszusteigen oder ohne ihren Mann weiterzufahren. Gerade will sie ihren Koffer ausladen, da taucht ihr verschwitzter Gatte auf. Eigentlich hätte er sich gar nicht so stressen müssen, denn ein auf der Straße parkendes Auto macht die Ausfahrt aus dem eigentlich großen Parkplatz zu einer Zentimeter-Schlacht. Es wird gehupt, geschrien und schließlich doch weitergefahren.

Fünfmal um die Welt

Wenn er die Kilometer am Tacho zählt, hat Andreas fünfmal die Welt umrundet. Was er dabei gelernt hat? „Eine gewisse Gelassenheit. Früher habe ich mich leichter aus der Reserve locken lassen." Diese Qualität kann er zwischen Prag und Brünn unter Beweis stellen. Auf der Autobahn sieht man nur rote Gegenlichter, es ist neblig und dunkel, der Verkehr kommt schließlich ganz zum Erliegen. In der Stunde, in der wir uns kaum vom Fleck bewegen, muss Andreas rechnen. Er und Zadar sollen morgen Vormittag wieder zurück von Wien nach Berlin fahren. Davor müssen sie noch mit dem Bus zu ihrem Hotel, ihn dort putzen und morgen schließlich wieder zum Busbahnhof fahren. Wenn es jetzt nicht bald weitergeht, wird das mit den gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten knapp. Dann können sie erst später aus Wien weg und alle Fahrgäste müssen auf andere Busse umgebucht werden.

Flixbus, Fernbus, Fernbusreise, Fernbusfahrer_Sonja Koller
© Sonja Koller
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Vor ein paar Jahren, so erzählt es Andreas, stand er mit dem Bus zwischen Passau und Regensburg sogar siebeneinhalb Stunden fest an einer Stelle. Der Räumdienst kam nicht durch – wegen Glatteisgefahr. Auch jetzt muss er darauf besonders achten. Obwohl das Navigationssystem zwischenzeitlich eine Räumung der tschechischen Autobahn befürchten lässt, rollen wir mit zwei Stunden Verspätung um 22 Uhr in ein verregnetes Wien ein. In Tempelhof haben mir Zeder und Andreas noch von ihrer “Busfahrerblase” erzählt – zehn, zwölf Stunden halten sie ohne Toilette aus, so sagen sie. Die Bordtoilette ist für sie ein No-Go. Wahrscheinlich wartet der schönste oder zumindest entspannendste Moment des Tages also noch auf sie.

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