Sonja Koller Von Berlin nach Sizilien: Mit Interrail an die schönsten Orte Italiens
Von Berlin mit dem Zug nach Sizilien, das klingt nach genau meiner Art von Abenteuer. Noch dazu mit Interrail – das ist für mich Freiheitsgefühl pur. Ich kann mich noch genau daran erinnern, als ich zum ersten Mal von dem Ticket gehört habe. Meine Eltern haben mir schon, als ich 14 war, von ihren Interrail-Reisen in den frühen 1990er-Jahren bis nach Griechenland und Spanien erzählt. Das Konzept Interrail, mit nur einem Ticket auf Schienen Europa zu entdecken, hat mich sofort begeistert. Schon damals habe ich mich auf der Interrail-Seite über Routen und die schönsten Verbindungen Europas schlau gemacht, nur um drei Jahre später, nach meinem Schulabschluss, die perfekte Route mit meinen Freund*innen abzufahren. Wir haben in einem Monat halb Europa gesehen und ganz viel Freiheit genossen. Das nochmal machen? Ich musste nicht lange überlegen, um zuzusagen.
Meine Interrail-Route von Berlin nach Sizilien
Mit dem Zug durch die Alpen
Mit den Tipps, die mir Charlott aus ihrer Interrail-Reise von Berlin nach Porto mitgebracht hat, fühle ich mich gut vorbereitet, obwohl schon die erste Zugfahrt abenteuerlich wird: Statt mit dem schnellen ICE fahre ich mit dem Nachtzug von Berlin nach Zürich. Weil Interrail für mich Backpacking pur bedeutet, habe ich mich gegen einen Schlafwagen und für eine Nacht im „normalen“ Abteil entschieden. Mein Geheimtipp für Nächte im Zug: Wenn man Glück hat und nicht so viele andere Fahrgäste im Abteil sind, kann man die Sitze nach hinten klappen und schafft so eine ebene Liegefläche. Dann kannst du die Nacht im Abteil auch liegend verbringen, ohne für eine Reservierung oder einen Schlafwagen zahlen zu müssen. Ich habe Glück, kann die Sitze ausziehen und mich so etwas ausruhen.
Schon als ich aus Berlin ausrolle, mache ich meine ersten Interrail-Bekanntschaften, mit einem jungen Schweizer fahre ich sogar bis nach Basel und tausche Kontaktdaten aus. Mit Gesprächen über unsere anstehenden und vergangenen Reisen mit dem Zug vergeht die Zeit schnell und die Vorfreude auf die kommenden Tage steigt mit jedem Kilometer.
An meinem ersten Stopp in Zürich stoße ich auf den perfekten Laden, um mich für die weitere Zugfahrt einzudecken: Direkt gegenüber vom Zürcher Hauptbahnhof gibt es eine Filiale von Hiltl, dem ältesten vegetarischen Restaurant der Welt, wo du Essen auch to-go bestellen kannst. Während des nächsten Streckenabschnitts muss ich mich aber bemühen, nicht mit offenem Mund vor dem Fenster zu hängen. Es geht von Zürich nach Mailand durch die Alpen und den wunderschönen Schweizer Kanton Tessin. Aus dem Zugfenster verliebe ich mich in die Kombination aus Alpen und Südeuropa-Flair. Ich steige in Mailand um und habe Zeit, den wunderschönen Mailänder Bahnhof zu bestaunen und meinen ersten Espresso in Italien zu trinken.
Cinque Terre: Spielplatz für Zugreisende
Am Abend komme ich in La Spezia an, einem ganz besonderen Ort für Zugreisende. Denn die Stadt eignet sich perfekt als Basis, um die Cinque Terre zu bereisen. Das sind fünf kleine Dörfer, die autofrei sind und die du am besten mit Regionalzügen entdeckst. Das Gute: Mit dem Interrail-Ticket sind auch die Züge der Cinque Terre kostenfrei nutzbar. Monterosso al Mare, Vernazza, Corniglia, Manarola und Riomaggiore sind auf jeden Fall alle sehenswert und wirklich wunderschön. Wenn du am Strand liegen möchtest, dann geht das am besten in Monterosso al Mare. Es ist das erste Dorf, durch das ich spaziere und von dort gleich weiter nach Vernazza wandere. Zwischen fast allen Dörfern gibt es Wanderwege, für die du jeweils zwischen eineinhalb und zwei Stunden einplanen solltest. Angekommen in Vernazza kaufe ich mir zum Mittagessen “Fritto Misto” und genieße den Mix aus frittierten Meeresfrüchten am Hafen.
Nach einem Spaziergang durch das bunte Dorf steige ich spontan in einen der Regionalzüge, die hier alle halbe Stunde vorbeifahren, und komme nur drei Minuten später in Corniglia an. Es ist das einzige der fünf Dörfer, das nicht am Meer liegt und dadurch ein etwas anderes Flair hat. Ich lasse den Abend in Manarola und Riomaggiore ausklingen, weil man von hier den Sonnenuntergang am besten sehen kann. Danach fahre ich zurück nach La Spezia ins Costello Hostel, was ich als günstige, aber stilvoll gestaltete Unterkunft absolut empfehlen kann. Besonders cool: An meinem ersten Abend gibt es hier eine kostenlose Pasta-Party, bei der ich wunderbar entspannt Backpacker*innen aus der Schweiz und Frankreich kennenlerne und mich mit ihnen über unsere Reiserouten durch Italien austausche.
Süditalien pur in Neapel
Am nächsten Morgen gibt's Frühstück mit Blick auf die Toskana: Von La Spezia fahre ich nach Rom und kann vom Zugfenster aus Pisa und Florenz im Schnelldurchlauf sehen. Am Bahnhof Roma Termini steige ich um und in den Zug nach Neapel. Davor lasse ich es mir nicht nehmen, eine kleine Runde auf dem Bahnhofsvorplatz zu drehen. In einem Restaurant ganz in der Nähe bin ich nämlich mit meinem Freund zusammengekommen.
Als ich in Neapel ankomme, bin ich überrascht. Ich war schon einmal zu Silvester hier und kann dir nur davon abraten, in der süditalienischen Stadt ins neue Jahr zu starten. Obwohl die Menschen hier vor allem mit ihren Familie feiern und die Straßen daher total leer sind, gilt die Stadt in den Stunden um den Jahreswechsel als gefährliche Sperrzone. An allen anderen 364 Tagen im Jahr aber kann ich einen Trip nach Neapel empfehlen und das wilde Pflaster ist mir bei meinem 36-stündigen Stopp so ans Herz gewachsen, dass Neapel jetzt eine meiner Lieblingsstädte in Europa ist.
Egal wo – in Neapel ist immer was los. Da ist es schon verrückt, dass es mit dem Convento di Santa Chiara eine Ruheoase im Zentrum der Stadt gibt. Wunderbar entspannen kann man auch im Garten des Hostel Hopestel Secret Garden. Neapel ist für sein gutes Essen bekannt. Klar, neapolitanische Pizza kennen und lieben wir alle. Die gibt es hier selbst bei den berühmtesten und besten Läden wie L'Antica Pizzeria Da Michele schon ab fünf Euro. Aber auch süße Leckereien wie das mit Creme gefüllte Brioche Fiocco di Neve bei Poppella und das Blätterteiggebäck Sfogliatelle bei Scaturchio solltest du unbedingt probieren. Zum Sonnenuntergang fahre ich mit der Seilbahn zum Castel Sant'Elmo, von wo ich schon mein morgiges Ziel betrachten kann: den Vesuv.
Mit dem Zug von Vulkan zu Vulkan
Spätestens, wenn man ihn in Neapel zum ersten mal live und in Farbe sieht, will man auf den Vesuv. Was ich nicht wusste: Dafür musst du nicht etwa eine halbe Expedition und viel Zeit einplanen, sondern nur etwa drei Stunden. Die Vorortbahn Circumvesuviana bringt dich in nur einer Viertelstunde vom Zentrum Neapels nach Ercolano Scavi. Direkt an der Bahnstation kannst du dort Tickets für den Bus Vesuvio Express kaufen, mit dem du in einer halben Stunde zum Eingang des Nationalparks gefahren wirst. Natürlich kannst du die Strecke auch zu Fuß zurücklegen, es gibt aber keinen Wanderweg, sondern nur die kurvige Straße, an der ständig große Busse und Autos fahren.
Eine kleine Wanderung gibt es vom Eingang des Nationalparks aber auch noch, ungefähr eine halbe Stunde musst du von dort zum Krater gehen. Manchmal soll der aktive Vulkan hier rauchen und brodeln, bei meinem Besuch aber ist es ruhig und mich beeindruckt vor allem der Blick auf die Bucht von Neapel bis Capri und Sorrent, dem Ausgangspunkt für Ausflüge an die Amalfiküste.
Für den Abend habe ich Pläne, die wie der Titel eines Romans klingen: Ich fahre mit dem Nachtzug nach Sizilien. Kurz nach 23 Uhr steige ich in Neapel in den Zug ein. Weil ich von den vielen Eindrücken ganz schön platt bin, freue ich mich, dass ich mir das Abteil mit drei müden Frauen teile, die alle schon in Rom eingestiegen sind und vor sich hin dämmern. Im Bett liegend nähere ich mich immer weiter der Stiefelspitze von Italien und Villa San Giovanni. Zwischen drei und vier Uhr fährt mein Zug hier auf eine Fähre, die uns nach Sizilien und Messina auf Sizilien bringt. Wer davon aber nichts weiß, merkt nichts und man könnte meinen, es gäbe eine Brücke auf die italienische Insel. Ich bin froh, dass ich noch nicht aufstehen muss und ganz entspannt an der Küste entlang, am Etna vorbei über Catania und nach Syrakus fahren kann, wo ich um 9 Uhr aussteige.
Die Highlights der Küste von Catania
Ein Besuch in Syrakus lohnt sich aus drei Gründen. Der erste ist die schöne Altstadt auf der stadteigenen Halbinsel Ortygia. Wenn du morgens hier bist, solltest du unbedingt am Markt vorbeischauen, für Mittag- oder Abendessen kann ich das Restaurant A Putia empfehlen mit bester sizilianischer Küche und Atmosphäre. Der zweite Grund ist der Archäologische Park, der vor allem für sein griechisches und römisches Theater bekannt ist. Noch viel beeindruckender finde ich aber die unglaublich hohen Höhlen direkt daneben. Sie sind eigentlich ein Steinbruch, aus dem die Baumaterialien für das griechische Theater gewonnen wurden.
Der dritte gute Grund für einen Stopp in Syrakus sind die vielen wunderschönen Strände der Region. Besonders traumhaft ist der von Fontane Bianche, den man von Syrakus in 15 Minuten mit dem Regionalzug erreichen kann. Mit dem Interrail-Ticket im Gepäck ist es keine schwere Entscheidung, hier spontan den Nachmittag zu verbringen. Am Strand erwartet mich die vollen Dosis Urlaub. Surf-Anfänger*innen probieren sich an ihren ersten Wellen, bei einer Beach-Bar gibt's Aperitif und Italo-Pop im Techno-Remix und durch die weißen Häuschen am Strand kommt ein bisschen Malibu-Feeling auf.
Der wahre Star der Küste von Catania aber ist der Ätna. Am nächsten Tag auf dem Weg nach Taormina bestaune ich den schneebedeckten Vulkan aus dem Zugfenster und kann gar nicht aufhören, zu knipsen. Auch die Italiener*innen um mich herum zeigen sich beeindruckt und das ganze Zugabteil verfolgt den Vulkan durchs Fenster. Auf den Stopp in Taormina freue ich mich schon, seitdem ich in Berlin in den Zug gestiegen bin. Denn auch ich habe die Serie The White Lotus gesehen und will sehen, was am Hype um den Drehort Taormina dran ist. Damit bin ich nicht alleine: Durch die Hauptstraße von Taormina schieben sich schon Ende April unglaublich viele Menschen. In den Nebenstraßen aber kann ich noch relativ entspannt flanieren und vor allem der große öffentliche Park Villa Comunale ist eine echte Ruheoase. Ein Muss bei einem Besuch in Taormina ist auch die Isola Bella, eine kleine Insel, die du vom Stadtzentrum von Taormina mit der Seilbahn erreichen kannst.
Das Beste kommt zum Schluss: Auf Schienen durchs Paradies
Das pittoreske Eiland ist nur eine von unzähligen wunderschönen Ausblicken, die ich auf meiner letzten Zugfahrt geboten bekomme. Von Taormina fahre ich auf der vielleicht schönsten Zugfahrt meines Lebens nach Palermo. Ich kann mich gar nicht entscheiden, auf welcher Seite ich sitzen möchte: Links türmen sich grüne Berge auf, rechts versinkt die Sonne im Meer. Selbst die italienische Nonna, die mir gegenübersitzt, grinst verliebt aus dem Fenster. Verliebt in Sizilien, das sind wir beide. Mehrmals muss ich mich davon abhalten, einfach auszusteigen. Das Coole am Interrail-Pass: Das geht ganz einfach, denn wenn du dich aus dem Zugfenster verliebt, kannst du einfach spontan aussteigen und deine Reise umplanen. Ich sag's ja: Freiheitsgefühl pur!
Am nächsten Morgen freue ich mich, dass ich sitzen geblieben bin. Denn obwohl Palermo ein etwas verruchtes Image hat, fühle ich mich hier total wohl und sicher. Mein Lieblingsort ist der Ballaro-Markt, wo ich mich durch das Streetfood der Region teste. Besonders cool: Überall gibt es Aperol Spritz für drei Euro. Ein weiteres Highlight ist der Mondello Strand ganz in der Nähe von Palermo. Hier gibt es klares, türkises Wasser, Sandstrand und Berge, die fast bis ans Wasser reichen und bei meinem Besuch für eine unendlich lange Golden Hour sorgen.
Während ich von dort in Richtung des etwas ruhigeren Nationalparks Riserva naturale orientata Capo Gallo spaziere, denke ich darüber nach, dass ich gerade fast am westlichen Ende von Sizilien stehe und einfach nur mit der Bahn hier hergekommen bin. Die Anreise war nicht etwa anstrengend, sondern unglaublich schön und spannend. Wenn ich beim nächsten Trip mehr Zeit mitbringe, würde ich gerne noch das Landesinnere von Sizilien mit Regionalzügen entdecken. Interrail eignet sich ja auch perfekt dazu, eine längere Reise durch Europa zu planen und den Weg nach Sizilien kannst du auch locker auf drei Wochen ausdehnen. Ganz ehrlich: Wenn du Lust hast, diese Route zu fahren, kann es sein, dass du mich im Nachtzug nach Sizilien für eine zweite Runde triffst.
