Immer die Küste entlang – Mit dem Zug von der italienischen Riviera zur Algarve
Als ich Freund*innen von meinem Plan erzählte, mit dem Zug von Italien nach Portugal fahren zu wollen, haben sie mich mit großen Augen angesehen. Doch ein Blick auf die Karte hat gereicht, um sie umzustimmen – es verspricht zwar eine lange, aber großartige Route zu werden: von Ventimiglia an der italienischen Riviera, der Mittelmeerküste folgend durch ganz Frankreich und Spanien, bis nach Olhão an der portugiesischen Algarve, wo der kühle Wind des Atlantiks bereits über die Küste weht.
Tag 1: Ventimiglia bis Montpellier
Morgens um 9 Uhr sitze ich im Bahnhofscafé von Ventimiglia, beobachte den Strom der Reisenden, der unaufhörlich zur Station drängt, und habe bei Café au Lait und Croissant das Gefühl, eine gute Entscheidung getroffen zu haben. Der erste Abschnitt ist spektakulär: Der Zug fährt direkt am Meer die Blüten-Riviera entlang durch Monaco bis Nizza. Nur ein schmaler Streifen Sand liegt zwischen den Schienen und dem Mittelmeer. Durch kurze Tunnel trödeln wir von Bucht zu Bucht, eine schöner als die andere: Segelboote auf türkisenem Meer, Palmenpromenaden und Küstenwege.
In Nizza wechsle ich von der italienischen Küsten-Bummelbahn in einen TGV nach Marseille. Die Fahrt im Hochgeschwindigkeitszug ist sehr angenehm, es ist kühl, es gibt genug Platz und Steckdosen, das Bordbistro ist gleich im Waggon nebenan. Wir fliegen förmlich die Cotes d’Azur entlang bis Cannes, von wo wir einen kurzen und sehr schönen Abstecher durch die Berge hinter Saint-Tropez machen und nach nur zweieinhalb Stunden in Marseille ankommen.
Mein Aufenthalt in der Hafenstadt reicht für einen kleinen Stadtbummel. Den schweren Rucksack gebe ich im Bahnhof ab, ein toller Service für Zugreisen, auf denen man auch von den Zwischenstopps etwas haben will. So schlendere ich mit leichtem Gepäck durch das arabisch geprägte Bahnhofsviertel hinab zum alten Hafen, erhasche einen Blick auf die Kathedrale von Marseille und esse Falafel zum Mittag. Auf dem Vorplatz des Bahnhofs hat man einen fantastischen Blick über die Stadt bis zu dem Kalkfelsen, auf dem die Notre-Dame de la Garde vor den umliegenden Bergen thront.
Der letzte Zug des Tages bringt mich zu meinem ersten Etappenziel, Montpellier. Ich komme früh genug an, um noch einen Abendspaziergang durch die wunderbaren, kleinen Gassen der südfranzösischen Student*innenstadt zu machen. Ich übernachte in einem Airbnb ganz in der Nähe des Bahnhofs, schräg gegenüber von einem netten Bistro, in dem ich abends ein Bier mit den gut gelaunten Stammgästen trinke und morgens ein Petit Dejeuner Express zu mir nehme: Café, Orangensaft und Croissant.
Tag 2: Montpellier bis Valencia
Der Zug, der mich über die spanische Grenze nach Barcelona bringen wird, fährt erst am Nachmittag ab, daher habe ich noch fast einen ganzen Tag zum Sightseeing. Ich besuche den Jardin des Plantes, den bereits 1593 angelegten Botanischen Garten der Universität – der älteste ganz Frankreichs. Der Eintritt zu diesem tollen, wilden Garten ist frei und so streife ich den ganzen Morgen durch Bambuswäldchen, Blumenbeete und Kakteen-Gewächshäuser. Danach reicht die Zeit noch, um in das berühmteste Museum der Stadt zu gehen, das Musée Fabre. Dessen riesige Sammlung erstreckt sich über mehrere Jahrhunderte und Stockwerke.
Fast erschlagen von den kulturellen Eindrücken, taumle ich zurück zum Bahnhof, um die nächste Etappe in Angriff zu nehmen. Die Strecke führt – das Mittelmeer immer im Blick – durch den Naturpark Narbonnaise en Méditerranée über Perpignan bis Barcelona. Die Metropole wäre ein logischer Stopp auf meiner Route gewesen, aber ich war schon öfter hier und würde den Besuch eher nicht im Hochsommer empfehlen. Daher reichen meine 45 Minuten Aufenthalt hier leider nur dazu, kurz an die frische Luft zu gehen. Spanien führt strenge Sicherheitskontrollen vor Fahrten in ihren Schnellzügen durch und man muss mindestens eine halbe Stunde vor Abfahrt am Bahnhof sein.
Auf dem Weg nach Valencia sehe ich aus meinem Zugfenster die riesige Sonne hinter den Hügeln Spaniens untergehen. Als ich kurz vor Mitternacht am Bahnhof ankomme, bin ich völlig geschafft und fahre auf dem schnellsten Weg mit der völlig leeren Metro zu meinem Hostel.
Tag 3: Valencia bis Sevilla
Am dritten Morgen meiner Reise stehe ich früh auf, um noch etwas von Valencia zu haben, bevor gegen Mittag die nächste Etappe ansteht. Die Estacion de Norte liegt fußläufig entfernt von dem architektonisch eindrucksvollen Zentrum Valencias. Meinen Rucksack schließe ich beim Schließfach-Service eines Poke-Bowl-Restaurants ein. Zum Frühstück geht es dann zu einem Churros-con-Chocolate-Stand direkt am Mercat Central, der alten Markthalle, wo schon morgens reges Treiben herrscht. Einheimische mit Beuteln voller Obst und Gemüse kommen aus den hohen Türen, genauso wie geführte Reisegruppen mit Wimpeln und Kopfhörern.
Rundherum stolpert man förmlich von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten, zwischen den Kirchen und Kathedralen stehen baufällige, alte Häuser, an deren bröckelnden Wänden sich Street-Artists austoben können. Zurück im Jugendstilgebäude des Bahnhofs wird man von riesigen Bestien und Heiligenfiguren empfangen. Sie sind Teil einer Ausstellung der überlebensgroßen Figuren und Wägen des Fronleichnams-Umzug Procesión del Corpus Christi, die seit 1355 in Valencia stattfindet.
Der Zug, der mich nach Sevilla bringt, ist der Intercity Torre el Oro, der von Barcelona bis Cádiz 1300 Kilometer zurücklegt. Die Route des Zuges ist eine Überraschung für mich, da ich vor der Abfahrt nirgends Informationen über die Strecke bekommen konnte. Nach der Hälfte der über sieben Stunden langen Fahrt befinde ich mich nicht mehr in Küstennähe, sondern in der Mitte des Landes, knapp unter Madrid. Meine kurze Sorge, im falschen Zug zu sitzen, wird zum Glück zerstreut, als wir im nächsten Kopfbahnhof umkehren und zurück gen Süden fahren.
So sehe ich durchs Fenster die verschiedenen Landschaften Spaniens vorbeirollen, die Olivenhaine und Orangenbaum-Plantagen, die weiten Ebenen und die sanften Hügel mit ihren Windmühlen. Die Sonne steht immer noch gleißend hell am Himmel, als wir gegen acht Uhr abends Sevilla erreichen. Da ich am nächsten Morgen wieder früh weiter muss, nutze ich nach dem Abendessen die Kühle der Nacht, um durch die erleuchtete Altstadt Sevillas zu schlendern und mir die Stadtmauern und Kathedralen zumindest von außen anzusehen.
Tag 4: Sevilla bis Olhão
Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit für die Hauptstadt Andalusiens, aber ich bin noch am selben Abend in Olhão in Portugal verabredet. Leider gibt es keine Zugverbindung zwischen Andalusien und der Algarve, es führt keine Zugbrücke über den Grenzfluss Rio Guadiana. Also mache ich mich auf den Weg auf die andere Seite der Altstadt zum Busbahnhof und fahre mit nur einem Zwischenstopp direkt über die von blühendem Oleander-Büschen gesäumte Autobahn nach Faro. Dies ist eigentlich an meinem Ziel in Portugal vorbei, da Olhão näher an Spanien liegt als Faro.
Immerhin komme ich dadurch zu einer letzten Zugfahrt: und zwar mit der Algarven-Bummelbahn, die von Lagos bis zur Grenzstadt Vila Real de Santo António die Küste entlangfährt. Zwischen den beiden Orten an Portugals Südküste liegt der Naturpark Ria Formosa, ein Gebiet voller Salzwasserlagunen, deren Aussehen sich zwischen Ebbe und Flut komplett verwandelt. Pünktlich um 14 Uhr komme ich in der unterschätzten, kleinen Stadt an der Sand-Algarve an, wo mein nächstes Abenteuer schon wartet: drei Wochen an Bord eines Segelboots!